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Sind die Menschen gleicher als gleich?

Sind die Menschen gleicher als gleich?
Gedanken zum Evangelium am 30. Sonntag i. J.

Vor Gott sind alle Menschen gleich. Das ist ein Grundsatz, der sogar bis in unsere Verfassung prägend Eingang gefunden hat. Aber sind vor Gott wirklich alle Menschen gleich? Es gibt doch fromme Menschen und weniger fromme und solche, die den lieben Gott, einen guten Mann sein lassen. Sind vor Gott nun alle Menschen gleich oder gibt es nummerierte Plätze bei ihm?

Heute sind die Plätze in der Kirche nicht mehr nummeriert. Ja die begehrtesten sind, so scheint es fast, wie im Kino die hinteren. Damals, zur Zeit Jesu, war das andersrum. Im Tempel ging es um die vordersten Plätze, und da begegnen wir ihm. Gewissermaßen in der ersten Bank. Ihm dem Pharisäer. Habe ich mir doch gedacht. Wiedermal so ein scheinheiliger Pharisäer in der ersten Bank.

Aber wahrscheinlich tun wir ihm unrecht. Denn was heute als scheinheiliger Pharisäer verschrien ist, waren zur Zeit Jesu Laien, die sich in aller Regel um ein gottgefälliges Leben bemüht haben. Unserem Pharisäer in der ersten Bank bedeutet die Religion viel. Und was er nicht alles für Gott tut, man kann es sich kaum alles auf einmal merken, denn die Liste ist lang: Er betet eifrig. Gleich sieben Mal am Tag. Er fastet zweimal in der Woche und spendet den zehnten Teil seines Einkommens. Das ist um einiges mehr als der heutige Kirchensteuersatz. Er achtet alle Ge- und Verbote. Und das waren damals nicht nur die 12 Gebote, sondern 624 Gesetzesvorschriften obendrauf. Soviel Frömmigkeit dürfte wohl auch uns beschämen. Eines dürfte jedenfalls klar sein: dieser Pharisäer ist nicht so wie die Räuber und Ehebrecher. Und er ist auch nicht so wie der Zöllner, der da auch noch im Tempel ist – irgendwo da hinten, in der letzten Bank.

Dieser Zöllner. Ein Mann der von Berufs wegen am Eingang der Stadt Zölle erhebt. Einer, der den anderen Geld abnimmt und davon wohl so manches in die eigene Tasche steckt. Kein Wunder, dass so jemand kein hohes Ansehen genießt. Zumal er ja auch noch mit den Römern unter einer Decke. Ein Kollaborateur. Und das ist vielleicht noch schlimmer: seine Geldgeschäfte machen ihn in den Augen des alttestamentlichen Gesetzes unrein. Vom Gottesdienst im Tempel ist er jedenfalls ausgeschlossen. Im Leben dieses Menschen hat sich wohl alles ums Geld und nichts um Gott gedreht. Deshalb betet er ganz hinten und er kann auch nicht viele Worte machen. Ganz kleinlaut bringt er nur dies heraus: „Herr, sei mir Sünder gnädig.“

Die Sache scheint sonnenklar. Wir begegnen zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: einem frommen Pharisäer und einem sündigen Zöllner. Was für uns und für die Jünger damals ganz eindeutig war, ist für Jesus ganz anders. Denn er sagt: „Nicht der Pharisäer geht gerecht nach Hause zurück, sondern der Zöllner.“ Das stellt doch so ziemlich alles auf dem Kopf! Wird da der Sünder erhöht und der Gerechte erniedrigt? So kannst Du das doch nicht gemeint haben, Jesus! Du kannst doch nichts gegen fromme Leute haben, die gerne beten, die fasten und über die Kirchensteuer hinaus auch noch etwas spenden. Du kannst doch im ernst nicht wollen, dass wir andere übers Ohr hauen.

„Nein, so habe ich das auch nicht gemeint!“, höre ich Jesus antworten. Und ihn fragen: „Ist Dir sonst nichts aufgefallen?“ Hast Du nicht gehört, wie der Pharisäer gebetet hat, laut in der ersten Reihe? Wie viele Worte er gemacht hat? Es ging ihm offenbar nur um eines: sich selbst ins rechte Licht zu setzen. Vor Gott groß raus zu kommen. Beim Beten hat er nur über sich gesprochen. In zwei Sätzen hat er nicht weniger als fünf Mal „Ich“ gesagt. „Sieh her, lieber Gott, so bin ich, das habe ich geleistet. So, und jetzt bist du dran.“ Er meldet ganz selbstbewusst seine Ansprüche an. Für Gott bleibt doch nur noch eines übrig: auf Knopfdruck die Belohnung auszuspucken?

Der Zöllner dagegen hat ganz anders gebetet. Kleinlaut. Er hat nicht viele Worte gemacht. Ja, er findet ganze fünf Worte. „Gott, sei mir Sünder gnädig.“ Und er wagt dabei nicht einmal aufzuschauen. Wieso auch. Was hat er Gott schon zu bieten. Keine eigene Leistung, keine Verdienste, nur seine leeren Hände.

Vielleicht geht es Gott aber gerade darum: um diese leeren Hände, die ihm der Zöllner armselig entgegenstreckt. Der Pharisäer hat alle Hände voll – der Zöllner hat seine Hände leer. Es sind die Hände eines Menschen, der Gott bitter nötig hat. Ist das nicht ergreifend! Welche Hände kann Gott da ergreife, beschenken mit seiner Barmherzigkeit?

Der springende Punkt in diesem Gleichnis sind die leeren Hände. Das zu verstehen fiel damals nicht gerade leicht, und heute fällt es auch nicht leichter. Die Hände leer hinzuhalten, das ist gar nicht so einfach. Heute. Bei uns. Wer viel hat und wer viel kann, der ist wer. Macher sind gefragt. Menschen, die ihr Leben fest im Griff haben. Wir leben schließlich in einer Leistungsgesellschaft. Leere Hände sind da nicht gefragt. Wenn gerade heute die Hände immer voller und die Kirchen immer leerer werden, dann höre ich so manchen sagen: Es müssen nur wieder schlechte Zeiten kommen und die Menschen lernen wieder das beten.

Ich wünsche uns nicht schlechte Zeiten. Aber eines wünsche ich uns schon: Dass wir nicht alles uns selbst zutrauen. Dass wir nicht der Versuchung verfallen, unser Leben und unseren Glauben ganz alleine fest in den Griff zu bekommen. Das führt letztlich nur zur Verkrampfung. Wir dürfen Vertrauen haben auf Gott. Ihm dürfen wir wirklich etwas zutrauen in unserem Leben. Ganz besonders auf den Gebieten, wo wir selbst nicht viel machen können, weil wir auf diesen Gebieten so unsere Schwächen haben. Wir dürfen auch dann vor ihn hintreten, wenn wir nichts oder nur wenig in Händen halten. Das entkrampft, das schenkt auch Gelassenheit. Und Gelassenheit ist eine christliche Tugend, die befreit.

Wenn wir Jesus glauben dürfen, dann hält Gott offenbar wenig von Machertypen. Wer um seine eigenen Fehler und Schwächen weiß, der kann Gott an sich handeln lassen. Ihm sagen: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Trauen wir Gott ruhig was zu: Gott alle Möglichkeiten, sich als gnädig zu erweisen. Alfred Delp hat es einmal so ausgedrückt: „Das gebeugte Knie und die hingehaltenen leeren Hände sind die wahren Urgebärden des freien Menschen.“ Kann Gott mich an der Hand nehmen? Bin ich so frei?

 

Fürbitten

Guter Gott, dass wir Menschen das Leben nicht alleine bestehen können, wird uns immer wieder bewusst, wenn wir mit unseren Bitten zu Dir kommen. Du lässt uns nicht leer ausgehen, wenn wir Dir mehr zutrauen als uns selbst.

Wir beten für all die Menschen, die ihr Leben so fest im Griff haben, dass sie innerlich verkrampfen: um die Gelassenheit auch immer wieder auch mal loslassen zu können.

Wir beten für die vielen Menschen, die nicht das Nötigste zum Leben haben, aber auch für die wenigen, mehr als genug haben: um einen gerechten Ausgleich.

Wir beten für die Missionare und Entwicklungshelfer, die sich fernab der Heimat fremde Not zu eigen machen: um Ideen, Ausdauer und Kraft.

Wir bitten um Deine Hilfe, damit wir unsere eigenen Fehler und Schwächen besser erkennen, angehen und überwinden können.

Guter Gott, wir legen unsere Bitten mit den Gaben von Brot und Wein auf Deinen Altar. Und wir vertrauen Dir, dass Du sie verwandelst Dir zum Lob und der Welt zum Heil. Amen.

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