Die Gleitsicht des Glaubens
Die Gleitsicht des Glaubens
Gedanken zum Evangelium am 10. Sonntag im Jahreskreis (Mk 3,22-35)
Es ist alles eine Sichtweise der Dinge. Man kann sie so sehen oder eben ganz anders, aus der Nähe oder mit etwas Entfernung auf die lange Sicht. Menschen sind manchmal kurzsichtig, dann wieder weitsichtig und manche sind sogar gleitsichtig.
Gleitsicht ist dem Menschen nicht naturgegeben. Die Gleitsichtbrille macht es möglich. Sie ist eine praktische Sehhilfe, aber zugegeben auch gewöhnungsbedürftig. Je weniger man sich gegen das Tragen einer Gleitsichtbrille wehrt, desto leichter wird man sich an diese neue Sichtweise gewöhnen. Mit der Gleitsichtbrille kann man auf die Nähe gut sehen und zugleich verliert man seine Weitsicht nicht. Beides ist schließlich wichtig.
Wenn wir unseren Glauben betrachten, dann ist der auch so etwas wie eine Gleitsichtbrille – eine gute Sehhilfe für unser Leben. Zunächst einmal schaut unser Glaube genau hin. Jesus versucht, uns immer wieder dafür zu gewinnen genau hinzusehen, damit wir erkennen, warum etwas so ist, wie es ist. Man kann natürlich über so vieles hinwegsehen und hinweggehen. Aber wenn man immer über alles hinwegsieht, dann kann das Leben mit der Zeit unübersichtlich werden, verwaschen und haltlos.
Glaube schenkt eine konzentrierte Sichtweise, einen aufmerksamen Blick für das Wesentliche, dafür also, worauf es in unserem Leben wirklich ankommt. Mensch, lass dich nicht ablenken.
Im Blick auf das Wesentliche gewinnen wir zugleich auch Weitsicht. Wir sehen, wo es lang geht und am Ende ankommt. Die Gleitsicht des Glaubens.
Glaube schenkt den Durchblick
Aber dann schenkt uns der Glaube noch eine entscheidende dritte Sichtweise: den Durchblick! Auf den richtigen Durchblick kommt es an. Den Durchblick gewinnt man aber nur, wenn man auch die Hintergründe erkennt. Und die sieht man ja oft nicht auf den ersten Blick. Augen des Glaubens versuchen nicht am Vordergründigen zu verhaften, sondern hinter die Kulissen der sichtbaren Welt zu blicken. Können wir das überhaupt? Dürfen wir das überhaupt? Wir müssen es unbedingt versuchen! Denn vergessen wir nicht: Wir glauben den einen Gott und ihn bekennen wir als Schöpfer der sichtbaren und der unsichtbaren Welt.
In der Lesung weist Paulus darauf hin, dass wir „nach dem Unsichtbaren ausblicken; denn das Sichtbare ist vergänglich, das Unsichtbare ist ewig.“ (2 Kor 4,18)
Hinter der sichtbaren und so flüchtigen Welt verbirgt sich eine unsichtbare Welt, die unvergänglich und ewig ist. Und die hat es in sich.
Das wird leider auch deutlich im Blick auf das Böse. Das wir alle sehen und doch nicht fassen können. Wer oder was steckt dahinter? Gibt es so etwas wie das Böse, den Bösen? Man hat immer wieder versucht, all das Böse in der Welt irgendwie anders zu erklären. Die Umstände zu bedenken, die Strukturen zu analysieren und psychologisch zu erklären. All das ist nicht falsch, aber bleibt eben doch nur vordergründig. Denn damit lassen wir ganz außer acht, dass es ja nicht nur das Böse gibt, sondern auch den Bösen und seine Macht.
Jesus lässt in seiner Auseinandersetzung mit den Pharisäern keinen Zweifel daran, dass in unserer Welt das Böse vom Bösen kommt. In der Auseinandersetzung mit den Pharisäern ist vom Beelzebul die Rede, und damit vom Anführer der Dämonen. Und Jesus selbst nennt Satan gleich dreimal beim Namen. Er nimmt ihn offenbar ernst. In der Wüste hat er ihn zur Genüge kennen gelernt.
Das mag für den aufgeklärten Menschen heute kaum zu glauben sein. Aber Jesus rechnet offenbar fest damit. Wir sollten es auch tun. Dass es eine ständige Auseinandersetzung mit dem Bösen gibt. Das Böse und der Böse stecken also miteinander unter einer Decke. Sie verbergen sich geschickt im Dunkeln. Das macht den Bösen und seine Macht darum auch so schwer fassbar. Damit sind wir angekommen in der unsichtbaren Welt. Die sich aber immer wieder sichtbar durchschlägt in unserer Welt, brutal und grausam.
Nur wenn wir diese Realität wahrnehmen und dann auch ernst nehmen, können wir auch den Kampf aufnehmen. Davon zeigt sich Jesus überzeugt; und auch davon, dass dieser Kampf mit geistlichen Mitteln geführt werden muss.
Die Kraft des Geistes
Denn es gibt ja nicht nur die Macht des Bösen. Es gibt vielmehr auch die Macht und die Kraft des Guten. Das stellt Jesus selbst immer wieder unter Beweis. Und den unreinen Geistern wirkt immer wieder machtvoll entgegen. Jesus treibt Dämonen aus. Das kann man nicht mit unreinen Geistern tun. Jesus macht das den Pharisäern deutlich. Dazu braucht es reinen, heiligen Geist. Den Jesus dann auch zusagen und an Pfingsten aussenden wird, als einen echten Beistand, der uns in die ganze Wahrheit einführen wird. Und wie dieser Geist wirkt, verdeutlicht Paulus an seinen Früchten: Die Frucht des Geistes ist „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit.“ (Gal 5, 22)
So will der Geist wirken, wenn wir ihn wirken lassen. Durch uns. Darum ist Jesus auch so entschieden in seinem Urteil. Wer den Heiligen Geist lästert, findet in Ewigkeit keine Vergebung. Der Heilige Geist stärkt uns gemeinsam im Kampf für das Gute.
Jesus will uns darin verbünden, uns zusammenschweißen in der Kraft des Heiligen Geistes. Eine Familie, die in sich gespalten ist, kann keinen Bestand haben. Halten wir also zusammen in und durch den Geist, der uns verbindet zu einer geistlichen Familie. Ja, wir haben den Geist empfangen, der uns zu Kinder Gottes macht. In diesem Geist sollen wir denken und handeln. Dafür will Jesus uns die Augen öffnen. So brüsk Jesus seine Mutter und Verwandten an der Türe abweist, so deutlich weist er dann auf die, die um ihn versammelt sind. Und wir wissen warum: „Denn wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder, Schwestern und Mutter.“ (Mk 3,35)
Natürlich kann man auch den Geist nicht sehen. Man sieht uns äußerlich auch nicht an, dass wir miteinander verwandt sind. Dafür soll die Welt umso mehr an unserem Tun und Denken erkennen können, wessen Geistes Kinder wir sind. Wenn wir das selbst durchblicken und dann durchblicken lassen in unserem Leben, werden wir transparent für Botschaft Jesu vom Reich Gottes.