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Kreuzerniedrigung

Kreuzerniedrigung
Was ist das Gegenteil von Kreuzerhöhung? Richtig: Kreuzerniedrigung. Geht ganz einfach. Man holt das Kreuz runter und zieht es in den Dreck. Das kann man auf Friedhöfen machen, in den Medien oder in der großen Politik. Vergessen wir nicht: Vor 80 Jahren reichten sich zwei gottlose Machthaber, Hitler und Stalin, die Hand. In einer Nacht- und Nebelaktion hatten sie Europa unter sich aufgeteilt. Der Hitler-Stalin-Pakt ist der Anfang vom Ende der Menschlichkeit. Der 2. Weltkrieg war besiegelt.
Oder man opfert das Kreuz dem Mammon. So geschehen vor zwei Jahren beim renommierten königlich-spanischen Fußballclub Real Madrid. Ein zahlungskräftiger Sponsor setzte durch, dass das Kreuz von der Königskrone im Vereinswappen ausgetilgt wird. Es stand dem Geschäft in der arabischen Welt im Weg.
Auch unser Herrgöttle hat am eigenen Leib erfahren, wie man das Kreuz erniedrigt. Das Liebe Herrgöttle in Biberbach – stammt ja nicht von Biberbach. Um das Jahr 1220 wurde es geschaffen wohl irgendwo im Württembergischen für einen erhabenen Kirchenraum. In den Zeiten der Bauernkriege und Bilderstürmerei wollte man es nicht mehr sehen. Es wurde aus der Kirche entfernt und in den Straßengraben geworfen.
Dort blieb es aber nicht liegen. Wir alle kennen die Geschichte des Fuhrmanns, der sich des Kreuzes angenommen und es in Sicherheit gebracht hat. An unserem Biberbacher Kirchberg verweigerten die Pferde plötzlich ihren Dienst. Der Heiland wollte offenbar in Biberbach bleiben.
Aber das Kreuz hat man nicht sogleich erhöht und verehrt. Beinahe vier Jahrzehnte wurde es auf dem Dachboden gelagert und fast vergessen. Ja, man kann das Kreuz auch vergessen…
Aber wo kommen wir am Ende hin – ohne Kreuz. Was bleibt übrig? Heillos viele Kreuze! Worum es also geht – damals wie heute? Wir müssen uns um das Kreuz annehmen. Vor bald 500 Jahren hat ein Fuhrmann unseren Herrgott aus dem Dreck geholt. Und zu Beginn unserer Wallfahrt standen auch zwei Menschen, die sich um das Kreuz angenommen haben.
Da ist zunächst der Sel. Marco d´Aviano. Ein großer Prediger Europas. Diesem Ratgeber des österreichischen Kaisers ist auch zu verdanken, dass die Türken nach ihrer zweiten Belagerung vor Wien endgültig besiegt werden konnten. Drei Jahre zuvor war der Kapuzinerpater in Augsburg.  Und er hatte nur ein Anliegen: „Nehmt das Kreuz Christi an; lasst es nicht links liegen!“ Auch Biberbacher haben seine Predigt gehört und waren betroffen. In seinen Aufzeichnung schreibt Pfarrer Ginther, die Leute hätten mehr Glauben und Vertrauen auf den unendlich barmherzigen Gott gesetzt und angefangen, das Kreuz immer wieder mit Andacht aufzusuchen.
Pfarrer Antonius Ginther ist damit der zweite, der sich unseres Heiligen Kreuzes erbarmt hat. Weil er die Kraft des Barmherzigen Jesus gespürt hat, die von diesem Heiligen Kreuz ausgeht.

Jesus will wirken
Eines ist klar: Jesus will wirken. Gerade vom Kreuz aus. „Wenn ich erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen.“ Dafür steht unser Herrgöttle in Biberbach. Unser Heiland hängt ja nicht am Kreuz. Er steht da! Jesus steht zum Kreuz des Menschen. Wenn das nicht Mut macht! Und sein Blick geht unter die Haut. Er sieht uns von Weitem, wenn wir kommen. Er hat schon längst auf uns gewartet. Und in seinen Augen sehen wir, wie es um uns steht, wie es uns gerade geht. Er schaut nicht auf uns herab. Wir dürfen vielmehr aufschauen zu ihm. Allein schon das tut gut und befreit von vielem, was uns immer wieder bedrückt. „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt.“ Dafür blutet sein Herz.
Unser Liab´s Herrgöttle hat in den vergangenen 340 Jahren ungezählte Menschen angezogen. Und was sie nicht alles mitgebracht haben an Anliegen, Nöten und Sorgen… aber voll Vertrauen! Die Votivtafeln erzählen davon bis heute: „Mein Glaube hat mir geholfen!“ Das ist nicht von gestern. Das Herrgöttle wirkt auch heute. Die Litanei der Dankbarkeit in unserem Fürbittbuch spricht Bände!
Worum es heute nach wie vor geht? Wir müssen das Kreuz annehmen. Warum? Weil es unser Kreuz ist. Sein Kreuz ist mein Kreuz. Das wollen und dürfen wir ja nicht übersehen. Wir alle haben ja auch unser Kreuz.
Und nicht selten geschieht es, dass wir es irgendwie nur loswerden wollen. Aber das hilft am Ende nicht weiter. Genau dafür will uns das Biberbacher Herrgöttle die Augen öffnen: unser Kreuz aufmerksam wahrzunehmen und zu würdigen. Denn es ist mein Kreuz. Es gehört zu meinem Leben. Erst wenn uns das gelingt, können wir versuchen, gut damit umgehen.
Da stellt der Arzt plötzlich eine ernste Diagnose, die man nicht wahrhaben will. Da trifft eine Behinderung, gegen die man sich wehrt. Und ihrer Sucht werden Menschen erst dann begegnen können, wenn sie sich ihr stellen und der Sehnsucht, die sich dahinter verbirgt.
Mein Kreuz anschauen, es würdigen und dann annehmen und dann lernen gut damit umzugehen. Daran auch zu wachsen. Und hoffentlich auch Menschen zu begegnen, die mit tragen, wie damals Jesus dem Simon begegnet ist. All das wird erst möglich, wenn wir unser Kreuz angenommen haben.

Mein Kreuz ist sein Kreuz
Und dann ist und bleibt da Jesus. Mit seinem Kreuz, das mein Kreuz ist. Das er mir nicht einfach abnimmt, aber umso mehr tragen hilft. Genau das will Jesus. Denn einen anderen Weg gibt es nicht. Solange ein Mensch glaubt, es selbst im Kreuz zu haben, kann ihm der Gekreuzigte nicht helfen.
Das Herrgöttle ist nach Biberbach gekommen. Es ist unser Herrgöttle geworden. Nehmen wir uns des Kreuzes an. Schließen wir ihn in die Arme, der uns in die Arme geschlossen hat. Und danken wir ihm, dass er sich uns anvertraut hat. Nochmals: das Herrgöttle wollte in Biberbach bleiben. Hier bei uns. Und doch ist er nicht unser Herrgöttle. Er gehört so vielen, die den Weg hierher suchen, um ihn zu finden. Ich bin froh, dass wir mit dem heutigen Tag ohne Gitter auch tagsüber freien Zugang zum Herrgöttle haben. Wir dürfen Jesus nicht fern bleiben. Sein Kreuz will uns nahe gehen. Er will uns nahekommen.

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