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Leben im Sterben

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Leben im Sterben
Gedanken zur Woche für das Leben 2021

Bislang war es in Deutschland strafrechtlich verboten, bei dem Wunsch nach Selbsttötung aktiv mitzuwirken. Im Februar letzten Jahres hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot zur Beihilfe zur Selbsttötung gekippt. das höchste Gericht betont in seinem Urteil das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Aus dem Grundsatz der Würde und Freiheit jedes Menschen wird die freie Bestimmung des eigenen Todes abgeleitet und darüber hinaus, sich dabei der Hilfe Dritter zu bedienen. Kurz gesagt: „Wenn ich nicht über das Ende meines Lebens bestimmen soll, wer sonst?“

Damit wurde höchstrichterlich eine neue Rechtslage geschaffen. Da eine geschäftsmäßige Sterbebeihilfe in Deutschland bislang verboten war, entwickelte sich ein regelrechter „Sterbetourismus“ in die Schweiz, nach Holland oder Belgien heraus. Sterbehilfe-Vereine wie „Dignitas oder „Exit“ waren dabei hilfreich zur Seite.

Menschen haben künftig das Recht und den Anspruch, Angebote der Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Man wird sehen, wie das umgesetzt wird. Dürfen Ärzte sich in die Pflicht nehmen lassen? Wollen sie das? Werden wir bald das neue Berufsbild des Sterbehelfer haben. Wird Sterbehilfe professionalisiert?

Der Präsident des Weltärztebund, Frank Ulrich Montgomery, warnt eindringlich davor, der Arzt dürfe nicht vom Helfer zum Vollstrecker werden. Schon im Eid des griechischen Arztes Hippokrates (460-370 v. Chr.) findet sich die ärztliche Selbstverpflichtung: „Ich werde niemandem, auch nicht auf seine Bitte hin, ein tödliches Gift verabreichen oder auch nur dazu raten. Auch werde ich nie einer Frau ein Abtreibungsmittel geben. Heilig und rein werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren.“

Aber warum wollen Menschen eigentlich ihr Leben beenden? Der Mensch hängt doch am Leben. Wenn nicht der (Über-) Lebenswille überhaupt die stärkste Kraft im Menschen ist. Der Wunsch, dem Leben ein Ende zu setzen, ist wohl immer ein (letzter) Hilfeschrei. Er darf nicht ungehört verhallen. Und auch das dürfte klar sein: Besser als Sterbehilfe ist immer Lebenshilfe. Gerade die letzte Zeit kann so zur wichtigsten Lebenszeit werden. Wenn sie denn bleibt.

Woran also liegt´s? Oft ist es die Angst. Vor dem, was noch kommt. Wenn eine Aussicht auf Heilung nicht mehr besteht. Wobei wir am Ende alle sterben. Die aufkommende, wachsende Angst vor dem, was noch alles kommt.  Vor allem vor den Schmerzen. Was hilft? Zunächst und vor allem eine gute Medizin, die das Leben unterstützt und Schmerzen lindert. Gerade die Palliativmedizin hat in den letzten Jahren hervorragende Fortschritte gemacht.

Oftmals ist da aber auch seelische Not. Wenn es keine Hoffnung mehr gibt. Der „hoffnungslose Fall“. Man sagt gemeinhin: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Aber was dann, wenn die Hoffnung zuletzt stirbt? Hier ist bestimmt die Seelsorge gefragt.  Wer, wenn nicht wir als Christen sind dazu aufgerufen, Menschen Hoffnung zu machen. Gerade auch im Angesicht des Todes und darüber hinaus.

Schließlich ist auch zu bedenken, dass Menschen leicht unter Druck gesetzt werden können einzuwilligen, ihr Leben beenden zu lassen. Damit sie nicht mehr zur Last fallen. So wie die meisten ungeborenen Kinder mit einer Behinderung nicht mehr das Licht der Welt erblicken, so kann es kommen, dass künftig mehr Menschen vorzeitig die Augen schließen müssen, weil sie anderen nicht mehr zuzumuten sind.

Heute endet die Woche für das Leben. Eine Woche, in der die beiden großen Kirchen in Deutschland alljährlich ein Thema des Lebensschutzes aufgreifen. Dabei dürfte von vornherein klar sein, dass die Kirchen sich dem Lebensschutz verpflichtet wissen. Vom ersten Augenblick des Lebens bis zum letzten Atemzug. Und immer dann, wenn das Leben schwach ist und gefährdet und darum umso schutzbedürftiger.

Klar dürfte auch sein: Wir haben uns das Leben nicht selbst gegeben. Leben macht man nicht. Es ist und bleibt ein Geschenk Gottes. Und Gott ist ein Freund des Lebens. In Jesus Christus hat er das gezeigt. Vor allem denen, die schwach waren, krank und am Ende. Gott will, dass wir leben. Am Ende für immer. Das vertiefen wir gerade jetzt in der Osterzeit.

Das ist unsere Grundposition, zu der wir als Christen stehen. Eine Einstellung, die man nicht teilen muss. Aber für uns Christen ergibt sich daraus unser Angebot, zu dem wir stehen: Wir sagen Ja zum Leben auch und gerade im Angesicht des Todes.

Weil der Ruf nach Sterbehilfe oftmals ein Hilferuf am Ende des Lebens ist, braucht es Unterstützung. Und die müssen wir möglichst gut anbieten. Und das tun die Kirchen. Wohl am sichtbarsten im Rahmen ihrer vielen hervorragend geführten Hospize. Das sind keine „Sterbehäuser“, sondern Lebensräume, in denen Menschen am Ende nicht als heillose Fälle gelten, sondern aufmerksam begleitet und liebevoll betreut werden. Bis zuletzt.

Mit Hilfe einer Palliativmedizin, die in aller Regel ein friedliches und schmerzfreies Sterben ermöglicht. Mit Hilfe einer ebenso kompetenten wie fürsorglichen Pflege. Und mit einer seelsorglichen Begleitung, die mit Sterbenden Antworten sucht auf die Fragen nach den letzten Dingen. Vor allem aber schaffen Hospize eine geeignete Umgebung für Begegnungen, die dem Abschied dienen, dem Dank, der Versöhnung.  Und dem Dasein.

Für uns Christen ist der Abschied von diesem Leben immer auch die Vorbereitung auf das kommende, das ewige Leben. Und damit die wichtigste Reisevorbereitung überhaupt. Wann und wie wir einmal gehen, wissen wir nicht. Umso wichtiger ist es, sich rechtzeitig vorzubereiten.

Julius Hackethal war einer der entschiedensten Vorkämpfer für die aktive Sterbehilfe in Deutschland. Als es im Oktober 1997 für ihn ans Sterben ging, wollte er von einer Sterbehilfe nichts mehr wissen. Er klammerte am Leben bis zuletzt. Bemühen wir uns rechtzeitig, im entscheidenden Augenblick gut loslassen zu können. Und helfen wir Sterbenden dabei, so gut wir können. Ja, es gibt ein Leben im Sterben. Daran glauben Christen wirklich – und darüber hinaus!

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