Politik ins Gebet nehmen
Politik ins Gebet nehmen
Eine kleine Gewissenfrage vorab: Wann habe ich zuletzt über einen Politiker geschimpft…? Und wann habe ich das letzte Mal für einen Politiker gebetet…?
Am 8. September 1955 reist der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, zu einem Staatsbesuch nach Moskau. In einer heiklen Mission, die ihm aber so sehr auf dem Herzen liegt. Es geht ihm um die Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen. Und das zehn Jahre nach Kriegsende. Seine Delegation hat sich gut vorbereitet auf diese hochsensible Mission. Aber eines muss der Kanzler vorher noch tun: Er muss unbedingt noch beten! Nicht ein Stoßgebet soll es sein. Nein. Adenauer, der tiefgläubige Kölner Katholik, nimmt sich eine ganze Nacht lang Zeit und betet in der Einsiedelei des Heiligen Bruder Klaus. Jenes Schweizer Nationalheiligen, der vor über 600 Jahren mit der Kraft seines Gebets zum Berater der großen Politik geworden war.
Am letzten Sonntag waren wir wohl alle tief bewegt, als uns Weihbischof Wörner an diese Begebenheit vor 70 Jahren erinnert hat. Da nimmt ein Bundeskanzler seine Politik ins Gebet. Was waren das noch für Zeiten! Und was waren das eigentlich für Politiker, die ins Gebet gehen und Gott bitten, ihre Politik mitzubestimmen. Und vielleicht ist es Ihnen auch so gegangen wie mir: Ich hab´ mir überlegt, welche Politik käme heute wohl heraus, wenn sie zuvor durchgebetet würde. Aber die Zeiten haben sich ja grundlegend geändert. Und wir können schon froh sein, wenn bei der Vereidigung des Bundeskabinetts der ein oder andere Minister die religiöse Formel wählt. Die da lautet: „So wahr mir Gott helfe.“ Immerhin haben das 13 von 17 Kabinettsmitglieder getan.
Adenauer, ein Kanzler auf Knien, mit betenden Händen. Das drückt ein Zweifaches aus: Zum einen: Verantwortung vor Gott und zum anderen Vertrauen auf seine Hilfe und seinen. Politiker, die so gestrickt sind, werden ihre Politik nicht dem Zeitgeist opfern. Sie werden nicht im parteipolitischen Hickhack steckenbleiben. Sie glauben an Visionen und haben dann auch die Überzeugungskraft zur Veränderung.
Aber wie wirkt sich eigentlich das Gebet aus? Zunächst einmal geben wir Gott Zeit. Adenauer hat Gott eine ganze Nacht Zeit gegeben. In dieser Zeit dachte er mit Gott zusammen, um sich innere Klarheit zu verschaffen. Das Gebet wirkt nicht an sich. Im Gebet wirkt Gott auf mich ein. Und wer ins Gebet reingeht, der kommt anders aus dem Gebet raus. Auch Jesus ist vor wichtigen Entscheidungen ins persönliche Gebet, in die Zwiesprache mit seinem Vater gegangen. Konrad Adenauer wusste um die Kraft des Gebets. Und seine Moskau-Mission? Die war am Ende höchst erfolgreich!
Gebetszeit ist Primetime. Doch in aller Regel läuft der Politikbetrieb heutzutage auch am Sonntag weiter, völlig ungestört von Gott.
In der heutigen Lesung haben wir auch einen Aufruf zum Gebet vernommen. Nein, der Apostel Paulus ruft nicht die Machthaber seiner Zeit dazu auf. Da wäre wohl jeder Appell zwecklos gewesen, so korrupt und verkommen die meisten damals waren… Nein, er ruft die Gläubigen auf zu beten. Für die zu beten, die Macht haben, die Machthaber. Er tut dies wohlwissend, dass viele von ihnen ihre Macht missbrauchen. Nicht zuletzt auch zum Leidwesen der jungen christlichen Gemeinden. Aber hatte nicht schon Jesus darauf hingewiesen, dass „die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen“! Paulus ruft zum Gebet auf und nicht zum Widerstand. Damit greift er ein Anliegen Jesu auf: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“
Mal ehrlich: Wir wissen alle nicht, welche Politik herauskäme, wenn wir Bürger wieder mehr beten würden. Gewiss, immer wieder fügen wir Fürbitten für die Regierenden ein. Aber machen wir uns dieses Gebetsanliegen auch wirklich zu eigen? Viel eher ist man doch geneigt zu schimpfen über „die da droben“. Und das ja nicht selten mit Recht. Nur was bringt´s am Ende? Und was bringt am Ende mehr?
Paulus hält dagegen: „Vor allem fordere ich zu Bitten und Gebeten, zu Fürbitte und Danksagung auf, und zwar für alle Menschen, für die Herrscher und für alle, die Macht ausüben, damit wir in Frömmigkeit und Rechtschaffenheit ungestört und ruhig leben können.“
Paulus fordert, dass die Christen nicht unnötig einen Konflikt mit den staatlichen Autoritäten provozieren. Sie sollen sich im Rahmen der staatlichen Ordnung vielmehr einsetzen für das Gemeinwohl. Und es stimmt: Christen waren immer loyale Staatsbürger. Man konnte ihnen nichts nachsagen. Gerade in Unrechtssystemen sind Christen dazu aufgerufen, das Bestmögliche für ihre Mitmenschen zu tun. Gerade auch dann, wenn sie an den politischen Verhältnissen nichts ändern können.
Gegenüber der herrschenden Politik können Christen dabei gelassener sein, weil sie zwar in der Welt sind, aber nicht von der Welt. Christen vertrauen darauf, dass es eine höhere Gerechtigkeit gibt und einen, der am Ende das letzte Wort hat. Und das ist Gott. Ganz in diesem Sinne hat der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann ausgerufen: „Lasst uns der Welt antworten, wenn sie uns furchtsam machen will: Eure Herren gehen, unser Herr aber kommt.“ Das kann als Devise gelten für uns Christen: Damals wie heute.
Paulus stellt dem Kaiser oder der staatlichen Autorität keinen Freifahrtschein aus. Im Römerbrief redet er auch den politisch Verantwortlichen deutlich ins Gewissen. Sie sollen für das Wohl der Menschen sorgen, Recht und Gerechtigkeit fördern und das Böse bestrafen. Seine Gemeinden aber fordert Paulus auf, den Staat und seine Autorität zu respektieren, wo er seiner Aufgabe nachkommt. Was freilich auch bedeutet, dass wir als Christen nicht schweigen dürfen, wenn der Staat seine Macht missbraucht.
Das Gebet freilich ist immer angebracht. Denn im Gebet geben wir zunächst Gott die Ehre und vertrauen ihm die Welt an und auch die, die sie regieren. Denn eines ist gewiss: eine Politik, die sich Gott gegenüber verantwortlich weiß, wird gewiss auch ihre Verantwortung vor den Menschen wahrnehmen und den Menschen so zu Gute kommen.