BKV-Landeswallfahrt

Die Regel des Heiligen Benedikt und militärisches Führen
Vortrag am 18. Mai 2025 in Biberbach
14. BKV-LANDESWALLFAHRT NACH BIBERBACH
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte aber auch ausdrücklich sagen, liebe Brüder und Schwestern,
vor allem aber liebe Kameradinnen und Kameraden, die sie sich egal wo in der Bundeswehr, als
Reservisten, bei Krieger- und Soldatenvereinen engagieren.
„Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr Deines Herzens.“ (RB, Prolog)
Vor einigen Jahren habe ich ein kleines Büchlein von Anselm Grün, Benediktinerpater aus
Münsterschwarzach, in der Hand gehabt. Der ein oder andere wird ihn oder seine Bücher kennen.
Eines seiner Bücher heißt „Menschen führen, Leben wecken“ Es geht um Anregungen zum Thema
Führung aus der Regel des Heiligen Benedikt (RB). Dies Büchlein ist eine Inspiration als „Benedikt
für Manager“. Und ich war ganz angetan von der Lektüre und habe mir die Frage gestellt, müssten
wir nicht eigentlich nicht nur einen Benedikt für Manager, sondern auch einen Benedikt für
Soldaten haben?
In meiner Zeit, als Bataillonskommandeur war ich dann mehrfach in Benediktinerklöstern zu Gast,
so auch im Kloster Beuron. Beuron zeichnet sich dadurch aus, dass dort zwei heutige Mönche
einmal Soldat gewesen sind. Nämlich ein Zeitsoldat und Offizier der Feldjägertruppe und ein
junger Soldat, der auch ein Buch („Ab Morgen Mönch“) geschrieben hat, weil er sein
Berufungserlebnis im Kosovo hatte. Sein Ordensname ist Longinus, nach dem römischen
Soldaten, der Christus die Lanze in die Seite gestoßen hat. Und wir haben mit den beiden
diskutiert und die Regel des Heiligen Benedikt und die Konzeption der Inneren Führung der
Bundeswehr einmal gegeneinander gelegt. Wir haben quasi unsere beiden
Unternehmensverfassungen verglichen.
Die Regel des heiligen Benedikt ist Grundlage für das Leben in benediktinischen Klöstern und
überhaupt für grosse Teile des europäischen Mönchtums. Sie ist fast 1500 Jahre alt, besteht aus
gut 9000 Worten in einem Prolog und 73 Kapiteln. Sie ist Richtlinie für monastische
Gemeinschaften. In ihr werden Rollen und Aufgaben im Kloster beschrieben. Wer tut was und
warum? Hier werden auch Vorgaben für das Zusammenleben der Mönche gegeben, Strafen
beschrieben, zudem der Umgang mit der Lektüre und dem Gottesdienst. Die wesentlichen Aspekte
dieser Regel sind Demut, Gehorsam, Gemeinschaft und geistige Ordnung. Aus unserer Warte ist
die Regel so ein bisschen eine Zentrale Dienstvorschrift für den Innendienst im Kloster oder auch
ein Clausewitz für Mönche.
So wie das Leben im Kloster, so ist ja auch in vielen, vielen Kasernen das Leben in der Kaserne
und unter uns Soldaten. Gemeinschaft hat eine ganz besondere Bedeutung. Wir sind uns sehr
ähnlich in dem Leben nach Regeln, in dem Anwenden von Regeln, in dem Zitieren von einzelnen
Paragraphen aus Vorschriften. Wir sind uns so ähnlich, wenn es um Gehorsam geht, aber auch
darin, dass wir unseren Alltag in unserem Beruf auf ein Ziel ausrichten. Dabei haben Werte wie
Vertrauen und Kameradschaft eine ganz große Bedeutung. Ausserdem sind wir uns so ähnlich,
weil wir Traditionen verhaftet sind und weil wir verstehen, dass unser Beruf ein Beruf von ganz
besonderer Art ist, ein Beruf „sui generis“. Ein Leben, in dem wir tatsächlich auch beide, Mönche
und Soldaten, komische Gewänder und Abzeichen tragen.
Führung als Dienst
In der Regel des Heiligen Benedikt ist eines der grossen Themen das Thema Führung. Führung ist
Dienst am Nächsten. Führung ist nicht Herrschaft. Der Abt, so heißt es in der Regel, ist vor Gott
verantwortlich. Der militärische Führer ist dem Souverän gegenüber verantwortlich. Er ist an Recht
und Gesetz gebunden. In der Regel heißt es „der Abt soll mehr durch sein Leben als durch gute
Worte lehren“ (RB 2, 12) und später heißt es „der Abt soll mehr nützen als herrschen“ (RB 64).
Führung durch Vorbild also. Auch das ist etwas, was wir in Uniform kennen und für uns in
Anspruch nehmen.
Führung bedeutet nach unseren Vorschriften „zielgerichtetes Einwirken auf das Handeln der
anderen“. Diese Führung braucht ein Vormachen. Sie braucht Klarheit im Gedanken und in der
Haltung. Auf das Vormachen folgt das Nachmachen, das Erklären, das Üben. Wir bilden nach
diesem Prinzip, kurz VENÜ, aus. Der Soldat kennt diese Abkürzung. Dabei geht es durch das
Üben um das Können und damit um das Handwerk des Soldaten, am Ende geht es um seine
Einsatzbereitschaft. Aber gleichzeitig geht es auch um das Wohl des Soldaten, denn wer sein
Handwerk nicht beherrscht, wird im Auftrag nicht bestehen können, wird für sich oder seine
Gruppe nicht liefern können, was es braucht, damit die Gruppe im Gefecht überlebt. Vor allem
aber geht es immer und immer wieder um die Auftragserfüllung, die wir erst durch ein immer
wieder Üben bis hin zum Drill erfüllen können.
Verantwortung und Entscheiden
Eine dienende Führung, so wie Benedikt sie versteht und uns in Uniform ja gar nicht fremd ist,
erzeugt Gefolgschaft, Loyalität und Vertrauen. Dabei ist Verantwortung unteilbar. In der Regel des
Heiligen Benedikt heißt es bei dem Kapitel über den Abt „der Abt soll vor wichtigen
Entscheidungen den Rat der Brüder einholen“ (RB 3, 1). Er soll sich also beraten lassen, bevor er
entscheidet.
Das kennen wir aus unserem Führungsprozess. In der Beurteilung der Lage tragen wir vor einer
Entscheidung all die verschiedenen Einflussfaktoren, die Feindlage, die eigene Lage, die
Kräftegliederung, die bisherigen Aufträge, den Zustand der Truppe, den Stand der Versorgung, die
Umweltfaktoren und andere Informationen mehr zusammen. Dieser Teil des Führungsprozesses
mündet in einen Entschluss mit Begründung. Der militärische Führer entscheidet. Bis dahin muss
jeder weitere militärische Führer, muss jeder Mitarbeiter eines Stabes seinen Kommandeur oder
seinen Kompaniechef beraten. Diese Beratung in aller Klarheit und Aufrichtigkeit gehört zu den
vornehmsten Aufgaben für jeden Führungsgehilfen in einem Stab oder einer
Kompanieführungsgruppe. Nach der Beratung hingegen ist dann Verantwortung unteilbar. Nur der
militärische Führer entscheidet, am Ende alleine und damit auch alleine verantwortlich.
Dabei soll nach der Regel des Heiligen Benedikt, „der Abt selbst darlegen, worum es geht“ (RB 3,
1). So ist es auch bei uns, denn der Militärische Führer ist aufgefordert zu sagen, in welche
Richtung er marschieren will. Er soll nicht erst die Beratung abwarten, um danach zu sagen, „das
habe ich mir ganz anders vorgestellt“. Dazu braucht es eine – wir sagen – Drei Alpha, Das ist in
unserem Befehlsschema die Ziffer 3.a), die eigene Absicht. Die Kunst des militärischen Führers
liegt darin, diese 3.a) vorab zu formulieren – das Ziel, den Weg in großen Zügen, Auflagen des
Handelns, damit die Truppe mit all ihren Talenten diesen Weg am besten beschreiben und dann
gehen kann.
So eine 3.a) braucht eine eigene Vorstellung, basierend auf eigener Kenntnis, auf eigenem Urteil,
auf eigener Erfahrung, auf eigenes Wissen gebaut Und dann ist am Ende Verantwortung nicht
mehr teilbar. Der militärische Führer muss sie tragen, so wie es über den Abt in der Regel heißt
„die Schuld trifft (alleine) den Hirten“ (RB 3, 7).
Lernen und Wachstum
Lernen ist ein lebenslanger Auftrag. Die Mönche streben nach Vervollkommnung, das ist eines der
Gebote in der Regel. Und bei uns gilt, was man nicht übt, das kann man nicht, das kann man nicht
können. Können kommt vom Üben, sagen wir immer und dazu braucht es Drill im Handwerk,
Planung von Entscheidungen, zudem das Planen von Alternativen. Es braucht ein Vorausdenken
von Lageänderungen, denn jeder gute Plan hält nur bis zum ersten Schuss. Wir aber wollen ja
danach noch handlungsfähig sein. Auch das gehört zu unserem militärischen Handwerk. Denn
nach dem ersten Schuss ist alles andere Leben in der Lage, also Weiterentwicklung.
Dafür schätzen wir so sehr in unserer Konzeption der Inneren Führung die Auftragstaktik, wo nicht
allein das Wort des militärischen Führers gilt „mir nach und alle anderen folgen“. Das funktioniert in
schwierigen Lagen nicht, wenn keiner weiß, wohin und warum. Sondern dazu braucht es den
militärischen Führer, der das Ziel beschreibt, aber der Weg, von denen gegangen wird, die dazu
die Talente haben. Das Ziel zu definieren, den Weg zu beschreiben ist Aufgabe des Führers. Das
Gehen und die Erfüllung des Auftrages mit den notwendigen Mitteln den Soldaten zu überlassen,
ist Ausdruck von Auftragstaktik.
Gehorsam und Demut
Der Abt ist Hirte, der Abt führt, der Cellerar leitet und die Brüder gehorchen. Die Brüder verrichten
ihren Dienst in Demut heißt es in der Regel. Benedikt kennt zwölf Stufen dieser Demut. Wörtlich
heißt es „der Mönch liebt nicht den eigenen Willen“ (RB 7,31).
Und so geht es uns ja auch. Wenn wir Kameradschaft pflegen, wenn wir den Kameraden
annehmen, auch wenn er noch nichts geleistet hat, wenn wir sagen, Kameradschaft ist das Band,
das uns alle umschlingt, ohne Ansehen des Dienstgrades und der Leistungen, die der Einzelne
bereits erbracht hat. Selbst dann, wenn wir jemandem wie dem anderen vielleicht auf der Straße
begegnen würden und nicht einmal grüßen würden, Kameradschaft ist das Band, das uns alle
umschlingt und das uns als Gruppe und Gemeinschaft eint. So nimmt sich auch der Soldat zurück
und ist um den Auftrag willen gehorsam. Das ist bei uns sogar Pflicht nach dem Soldatengesetz.
Bei Benedikt heißt es „alles aber geschehe maßvoll“ (RB 48, 9). Das ist der Aufruf zur Demut.
Demut und Gehorsam sind kein Zeichen von Schwäche, nicht in der Regel des Heiligen Benedikt.
Und Gehorsam ist kein Zeichen von Schwäche in einem militärischen System. Gehorsam und
Demut sind gleichermaßen Zeichen von innerer Größe, aber auch von Vertrauen in die Führung.
Das hat viel ganz viel mit Einsatzbereitschaft zu tun
Einsatzbereitschaft
Der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck hat am Karfreitag gesagt, „wir müssen
kriegstauglich werden, um friedenstüchtig zu sein – für einen gerechten Frieden“. Und ein Wort der
Deutschen Bischofskonferenz aus dem vergangenen Jahr zum Thema Frieden und Soldat sein in
dieser Welt ist überschrieben mit „Friede diesem Haus“. Dieser Wunsch Christi ist der Friede, den
wir suchen. Und zugleich lesen wir dort, dass Krieg immer ein Totalversagen ist. Wenn wir aber die
Augen aufmachen, in unserer Welt, dann sehen wir, dass dieses Totalversagen Krieg jeden Tag
stattfindet, geradezu vor unserer Haustür. Und um dem zu begegnen, braucht es zur
Abschreckung und zur Verteidigung einsatzbereite Streitkräfte. Es braucht einsatzbereite
Streitkräfte mit einem festen Wertgefüge für ihre Soldatinnen und Soldaten und zwar für alle, nicht
nur für militärische Führer. Auch für den Soldaten, für jeden einzelnen Menschen in den
Streitkräften, Schulter an Schulter mit unseren Alliierten.
Wir brauchen eine materielle Einsatzbereitschaft, um unseren Auftrag erfüllen zu können. Wir
brauchen eine gute Ausrüstung, aber auch Ausstattung unserer Einheiten und Verbände und
natürlich auch die richtigen Waffensysteme und Munition.
Es braucht aber auch eine persönliche Einsatzbereitschaft, das Können, die Motivation und die
Führung. Wir kennen bei fünf Faktoren von Motivation, nämlich das Vertrauen in die eigene
Leistungsfähigkeit, das Vertrauen in die Gruppe, das Vertrauen in die Ausrüstung, das Vertrauen
in den Vorgesetzten und das Vertrauen in die Richtigkeit des Auftrags. Mein Vertrauen in meine
eigene Leistungsfähigkeit, mein Vertrauen in die Gruppe, vor allem aber mein Vertrauen in den
Vorgesetzten ist vor allem dadurch bestimmt, dass dieser fest mit beiden Beinen in unserer
Konzeption der Inneren Führung verankert ist. Das erfordert das Nachdenken über den Beruf, das
sich Messen an den Ideen der anderen, das Verstehen, was wir tun und was wir wollen, wohin wir
wollen, wie ich führe und wie ich mit anvertrauten Menschen umgehe. Wie gehe ich mit
Unterstellten, nicht mit Untergebenen, um. In Gedanken und Worten und Werken muss mein
Menschenbild, mein Umgang bis hin zum Befehlen des Letzten, nämlich des Einsatzes des
einzelnen Soldaten mit seinem Leben, um den Auftrag zu erfüllen bestehen können. Auf diesem
Wertegerüst stehend, dienen wir in den Streitkräften und wissen wofür. Demut vor dem Auftrag
und Gehorsam aus Einsicht ist das, was uns in unseren Streitkräften in der Bundeswehr umtreibt
und was uns prägt.
Es geht darum, dass wir jeden einzelnen Soldaten als Menschen in seiner Würde annehmen und
in seinen Talenten wertschätzen. Das kann zu dienender Führung werden, einer inklusiven
Führung. Benedikt und wir Soldaten leben in unterschiedlichen Welten. Dennoch leben wir nach
ähnlichen Prinzipien. Diese werden beschrieben durch die Schlagworte Dienst, Verantwortung,
Gemeinschaft, Vorbild. Dazu gehört in unserer Profession, Führung auszuüben, denn Führung
muss fühlbar sein, sonst ist sie keine Führung. Und sie muss natürlich verlässlich sein. Wer
Führung ausübt und dabei Vertrauen erzeugt, die Talente der Geführten nutzt, der führt im Sinne
Benedikts. „Ein Vorgesetzter, der nicht mit gutem Beispiel vorangeht, kann keine Loyalität und
keine Gefolgschaft erwarten“, so heißt es in unserer Konzeption der Inneren Führung.
Die Regel des heiligen Benedikt ist eine Richtlinie von mönchischen Gemeinschaften seit 1500
Jahren. Sie ist, wenn sie so wollen, jahrhundertealte Weisheitsliteratur und mein heutiger
Literaturtipp für den Rest des Wochenendes. Sie ist ein Stück Weisheitsliteratur aus einer Welt, die
ganz anders ist als unser Beruf in Uniform. Doch tatsächlich kann man davon lernen und sein
Führungsverhalten daran prüfen. Ich empfehle Ihnen die Lektüre der Regel des Heiligen Benedikt
gerade mit der Brille des Soldaten, vielleicht auch mit der Brille des Politikers oder vielleicht auch
aus ihrem ganz persönlichen beruflichen Alltag heraus. Sie macht uns reifer, um dann Soldat zu
sein, wie es in der vatikanischen Konstitution Gaudium et Spes heißt: als „Diener der Sicherheit
und der Freiheit der Völker“ (GS 79). Denn das sind wir, das ist unser Selbstverständnis, Diener
der Sicherheit und der Freiheit der Völker.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.