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Unter den Wolken…

Unter den Wolken…
Gedanken zum Weltmissionssonntag 2020

„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein…“. Ein Song von Reinhard Mey aus den 80er Jahren. Und jeder, der schon mal geflogen ist, kennt das Gefühl, hoch droben über den Wolken… Aber die Flugzeuge heben ja zur Zeit nicht wirklich ab. Damit erhöht sich die Brennschärfe für die Probleme am Boden. Wie sieht´s gerade drunten, unter den Wolken aus?

Mission fängt unter den Wolken an
Vor einigen Jahren bin ich in München ins Flugzeug gestiegen und nach etwas über zweieinhalb Stunden mitten in Europa wieder ausgestiegen… Nein, nicht etwa auf irgendeiner Urlaubsinsel, sondern in Tirana, der Hauptstadt Albaniens. Bittere Armut erwartete mich im Norden des Landes. Weit über 90 Prozent Arbeitslosigkeit; eingefallene Dächer, die den Blick in den Himmel freigaben, der jedoch kein Zeichen der Hoffnung zu erkennen gab. Aber nicht nur die materielle Armut hat mich erschreckt. Auch eine geistig-geistliche Verarmung. Albanien war unter Enver Hodscha lautstark zum ersten atheistischen Staat ausgerufen worden. Damit traten zu den leeren Kassen auch leere Seelen. Es hat mich schon erschreckt, als ich auf dem Friedhof in Fushe-Arez auf den Gräbern anstelle von religiösen Symbolen Alkohol, Zigaretten und Münzen als Grabbeigaben entdeckte.

Was ich in Albanien gemacht habe? Keinen Urlaub! Für zwei Monate arbeitete ich als junger Diakon bei Dillinger Franziskanerinnen, die dort, am Ende der Welt – und doch mitten in Europa-, gleich nah dem Fall des „eisernen Vorhangs“ eine Missionsstation aufgebaut hatten. Sie haben viel erreicht. Und gemeinsam mit den Menschen vor Ort den inzwischen viel aufgebaut. Und da habe ich begriffen, dass Mission nicht irgendwo weit weg beginnt, sondern ganz nah. Es kommt bloß darauf an, wo man landet. Oder schon längst geboren und aufgewachsen ist.

Diese Erfahrung hat mich geprägt. Und geht mir bis heute nach. Unsere Welt ist kleiner geworden, wir müssen zusammenrücken. Eines werden wir uns nicht mehr erlauben können: zu unterscheiden zwischen einer ersten, einer zweiten und einer dritten Welt. So, als ob es drei Welten gäbe. Dabei haben wir nicht einmal eine zweite in Reserve… Weltweite Probleme kennen letztendlich keine Grenzen. Man kann sich nicht mehr einfach abgrenzen, ohne dass die Probleme am Ende noch viel größer werden. Dafür öffnet uns die Corona-Pandemie gerade die Augen.

Wir begehen den Weltmissions-Sonntag
Auf allen Kontinenten feiern heute katholische Gemeinden den Sonntag der Weltmission. Er ist Ausdruck weltweiter Verbundenheit und Solidarität, die sich über Grenzen hinwegsetzt. Nur gut so: Weil wir alle in einer Welt leben, geht es darum, miteinander und darum auch füreinander. Nur so kann es mit uns Menschen gut gehen. Übrigens war das von Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, schon immer so vorgesehen.

Das Päpstliche Hilfswerk „Missio“ lenkt in diesem Jahr unseren Blick nach Westafrika. Eine Region, die zu den ärmsten der Erde zählt. Sie wird destabilisiert von Dürre, Krieg und islamistischen Terrorgruppen. Die Gesundheitssysteme sind der zusätzlichen Belastung durch Corona nicht gewachsen. Vergessen wir nicht, dass gerade dieser Teil der Welt vor wenigen Jahren erst von einer furchtbaren Ebola-Epidemie heimgesucht wurde.

Wir erinnern uns…: Ebola ist viel gefährlicher. Eine Infektion mit dem Ebola-Virus verlief binnen weniger Tage in der Demokratischen Republik Kongo in 70 % der Fälle tödlich. Bis heute gibt es keinen Impfstoff und auch kein wirksames Medikament. Im Vergleich zu Ebola ist das Coronavirus wesentlich weniger bedrohlich. Und doch empfinden wir „Corona“ um vieles bedrohlicher. Warum? Weil es eben nicht nur Menschen in Westafrika betrifft, sondern auch uns. Ja eine ganze Welt. Eine Pandemie trifft immer alle. Mehr oder weniger grenzenlos. Das mag irgendwie nur gerecht erscheinen. Aber das ist es nicht. Denn die Corona-Pandemie trifft wieder die Ärmsten am schlimmsten. Wenn wir nach Indien schauen, auf die Philippinen, nach Lateinamerika: kein vergleichbares Gesundheitssystem, kein funktionierendes Sozialsystem. Selbst in den USA sind viele nicht ausreichend krankenversichert – mit tödlichen Folgen.

Menschen, die von der Hand in den Mund leben, sind schnell am Ende, auch wenn sie sich gar nicht infiziert haben. Weil eben keine Touristen mehr ins Land kommen oder die Produktion im Billiglohnsektor zurückgefahren wurde. Die Kirche vor Ort steht in dieser Situation solidarisch an der Seite der Menschen. Sie spendet Trost und Hoffnung und leistet konkrete Hilfe. Missionsstationen waren schon immer weltweite Leuchttürme der Nächstenliebe. Während der Ebola-Epidemie in Liberia waren es die Salesianer, die als Missionare zuerst vor Ort waren und bis zuletzt auch geblieben sind.

Ja, die Corona-Pandemie gibt uns Nachhilfeunterricht. Damit wir nie vergessen: Wir leben alle in einer Welt. Darum tragen wir alle Verantwortung für diese eine Welt!

Mission fängt bei uns an
Heute, am Weltmissionssonntag, wollen wir uns neuerlich bewusst machen: Mission fängt nicht irgendwo weit weg an. Und auch nicht in Albanien. Sondern genau bei uns – und mit Jesus. Mission ist auch nicht primär eine Frage des Geldes, sondern der Einstellung. Und die lernen wir am besten von unserem ersten Missionar: Jesus Christus. Der ist gekommen, damit die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben. Ihm lag das Heil aller am Herzen. Es ging ihm nicht darum, seine eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. In Jesus begegnet ein guter Hirte für alle. Mission wird immer damit anfangen, dass wir uns zunächst von Jesus missionieren lassen. Unser Denken und Tun von ihm mit bestimmen lassen. Diese „innere Mission“ ist die entscheidende Voraussetzung, dass wir mit ihm dann auch gemeinsame Sache machen können. Als Christen sind wir von ihm genau dazu berufen. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!“ (Joh 20. 21) So lautet sein Appell. Mission heißt Sendung. Und Sendung heißt Mission.

Auch in diesem Jahr werden wir gebeten, uns weltweit ins Gebet zu nehmen und nach Kräften zu helfen, wo Hilfe not tut. Spenden für Missio sind bei Gott keine Almosen, schon eher ein Lastenausgleich zu Gunsten von mehr Gerechtigkeit. Aber vor allem hat unsere Sendung viel mit Würde zu tun. Erinnern wir uns auch an dieses Wort Jesu: „Was ihr für einen der geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25, 35). Wenn wir den Ärmsten dienen, dienen wir keinem Geringeren als dem Herrn. Und auf einmal wird aus jeder Spende eine Gabe, die uns selbst wahrhaft bereichert.

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