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Ausgleichende Gerechtigkeit

Ausgleichende Gerechtigkeit
Gedanken zum Evangelium am 25. (Mt 20, 1-16)

Manchmal ist es ganz interessant, wie wir –ganz spontan-reagieren. Ihre erste Reaktion? Wie kommt das Evangelium bei Ihnen an? Eine erste Reaktion wäre da durchaus verständlich: Unverständnis. Warum bekommen alle am Ende den gleichen Lohn, obwohl sie doch unterschiedlich lange gearbeitet haben? Das ist doch nicht gerecht! Da kann leicht Neid aufkommen, Sozialneid… Aber genau davor will uns das heutige Gleichnis ausdrücklich bewahren.

Von wegen gerecht…
Und überhaupt: was heißt schon „gerecht“? Fest steht: alle standen am Morgen bereit und wollten arbeiten. Wer als erster genommen wird? Natürlich die Kräftigen, die Jungen. Sie sind sofort erfolgreich. Aber was ist mit all den anderen? Die müssen warten, mehr oder weniger lange. Das tut weh. Das ist auf dem heutigen Arbeitsmarkt ganz ähnlich…

Ja, die Welt ist ungerecht. Von Chancengleichheit kann nicht die Rede sein. Nicht nur auf dem Arbeitsmarkt … Von Lohngerechtigkeit können Billiglöhner und Leiharbeiter auch bei uns nur träumen. Und sie sind dazu noch die ersten, die auf der Straße stehen. Noch dramatischer wird´s, wenn wir den Vergleich zu anderen Ländern anstellen. Von wegen Sozialversicherung, Kurzarbeitergeld oder Arbeitslosenhilfe. Reden wir lieber von Wanderarbeitern und Tagelöhnern. Die nämlich gibt es auch heute noch –mehr als genug. Oder glauben Sie, die Stadien zur Fußball-WM im arabischen Quatar werden von den Einheimischen errichtet?!

Wie hatte ein Reporter einen Vater und Alleinverdiener auf den Philippinen zu Beginn der Coronapandemie gefragt, als hierzulande fleißig Toilettenpapier gehamstert wurde: Ob denn auch er jetzt im Supermarkt große Vorräte für seine Familie einkauft? Die Antwort war ernüchternd ehrlich. „Vorräte? Womit denn? Ich muss froh sein, wenn das Geld für den nächsten Tag reicht.“ Das sind Sorgen! Es lohnt sich schon einmal, sich in die Situation dieses Tagelöhners hineinzuversetzen. Wenn die an einem Tag keine Arbeit gefunden haben, haben sie tags darauf nichts mehr zu essen. Die Leidtragenden der Coronapandemie sind eben auch die vielen, die von der Hand in den Mund leben. Und doch war ich überrascht, mit welcher Gelassenheit dieser philippinische Tagelöhner geantwortet hat. Und ohne jeden Vorwurf gegenüber dem Journalisten aus der anderen, besser versorgten Welt.

Weiter gedacht…
Woran das liegt? Vielleicht am Glauben? Ja, das heutige Evangelium wird auch in den Armenvierteln verlesen. Wie es wohl dort aufgenommen wird? Mit einem inneren Aufatmen? Dass es Gott am Ende wirklich gut meint. Auch mit ihnen. Dass es eine Lebenserwartung gibt, jenseits des Lebens, das alle Erwartungen zu enttäuschen droht. Weil es Gott gibt und eine ausgleichende Gerechtigkeit, die am Ende dafür sorgt, dass die letzten die Ersten sein werden… Und gelten nicht auch die Seligpreisungen ihnen, den Zukurzgekommenen! „Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Himmelreich“ (Lk 6, 20). Es ist schon bezeichnend: Im heutigen Gleichnis beklagen sich nicht die Zukurzgekommenen. Nicht diejenigen, die nah elf Stunden noch dastehen. Übersehen und vergessen. Nein, es sind vielmehr die Erfolgreichen, die gleich eine Arbeit bekommen haben. Das ist bedauerlich.

Ich denke, das wäre eine angemessene Reaktion auf das heutige Evangelium: Ein tiefes Bedauern. Dass es so ist und wohl nie ganz anders werden wird: In dieser Welt gibt es keine völlige Gerechtigkeit. Chancengleichheit bleibt wohl für immer eine Illusion. Sollen wir uns damit abfinden? Bloß nicht! Ungerechtigkeit ist immer verbunden mit dem klaren Auftrag, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Mit den Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen. Und ganz im Sinne Gottes, dem es um eine ausgleichende Gerechtigkeit geht. Gott hat die Zukurzgekommenen im Blick. Er schaut auf die, die gern übersehen werden. Die links liegengelassen werden oder -wie im Gleichnis heute- bis zum Schluss übrigbleiben. Die Letzten eben…

Ein Grund zur Freude!
Aber da gibt es noch eine dritte Reaktion auf das Evangelium. Und das ist für mich die allerschönste. Nennen wir sie ganz einfach: „dankbare Freude“. Das heutige Evangelium ist wirklich eine frohe Botschaft -und zwar für alle. Niemand geht am Ende leer aus. Die einen konnten sich von Anfang an freuen, weil sie gleich Arbeit gefunden hatten. Die letzten werden am Ende noch „Gott sei Dank!“ mit einer Freude überrascht. Sie haben kürzer gearbeitet, aber dafür länger sorgenvoll gewartet. Ob das nicht mehr Stress bereitet! Sie werden wohl schon oft leer ausgegangen sein. Den Denar werden sie wohl am besten brauchen können.

Was das über Gott und den Menschen aussagt: Gott weiß, dass es auf Erden nicht gerecht zugeht. Das ist nicht in seinem Sinne. Verantwortlich dafür ist nicht Gott, sondern der Mensch. In Jesus setzt er ein Zeichen der Hoffnung. Das heutige Gleichnis geht am Ende so auf: Ja, es gibt am Ende bei Gott eine höhere, eine ausgleichende Gerechtigkeit. Und das ist für viele Christen, die unter schwierigen Bedingungen leben müssen, schon jetzt ein echter Trost, der sie nicht verzweifeln lässt. Aber es darf nie zu einer billigen Vertröstung werden. Und für uns ist es gewiss keine Entschuldigung. Vielmehr ein Auftrag, unseren Beitrag im Sinne Gottes zu leisten. Dankbar auch dafür, dass es uns vergleichsweise gut geht. Und in der Freude darüber, wenn es anderen ein wenig besser geht. Die letzten werden die ersten sein. Zu den letzten will am Ende hoffentlich niemand gehören, weil er bis zuletzt ganz vorn mit dabei sein wollte…

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