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Bleiben verändert

Bleiben verändert
Gedanken zum Evangelium am 5. Sonntag der Osterzeit (Joh 15, 1-8)

Kommen Sie eigentlich noch mit? Oder geht es Ihnen manchmal auch zu schnell? Wir leben in einer Welt, die immer schneller wird. Wir sind immer schneller unterwegs, nicht nur von A nach B… Auch der Informationsfluss wird immer schneller. Und was mit der KI auf uns zukommt, ist noch gar nicht abzusehen.
Nein, ich bin nicht fortschrittsfeindlich. Im Gegenteil. Stehen bleiben geht nicht. Leben ist Veränderung. Leben braucht Fortschritt. Aber um welchen Preis? Die Frage muss schon erlaubt sein: Wo bleibt bei all den kurzatmigen Veränderungen eigentlich der Mensch? Was bleibt dem Menschen? Und: bleibt es menschlich?

Die Zahl der Krankschreibungen wegen psychischer Überlastung am Arbeitsplatz hat in den letzten Jahren alarmierend zugenommen. Gewiss, da sind viele, die Schritt halten. Manche gerade noch so. Aber immer mehr Menschen schaffen es einfach nicht mehr. Erleiden ein Burn-out. Man muss nicht Englisch können, um zu wissen, was damit gemeint ist. Da sind Menschen ausgebrannt, weil das Leben zu „hochtourig“ geworden ist und die Quellen, die inneren Quellen, versiegen.
Je mehr und je schneller sich das Leben verändert, desto wichtiger wird die Frage, was eigentlich bleibt. Das Bleiben ist deshalb lebensnotwendig, weil es uns einen langen Atem verleiht, die Sicht auf das große Ganze und auf den Sinn von allem.

Dranbleiben, drinbleiben, verbunden bleiben. Nur das Bleiben vermag unser Leben auf lange Sicht zu verändern. Und darauf kommt es an. Was am Ende bleibt.
Aber wo lohnt es sich zu bleiben? Menschen und Freundschaften. Fähigkeiten und Begabungen. Aufgaben und Pflichten. Wir brauchen Menschen, die sich binden können und auch binden lassen, eben verbindlich sind.
„Ich lass mich nicht binden. Ich will flexibel bleiben!“ Aber was bringen am Ende die Dinge, mit denen wir uns hier und dort mal kurz befasst haben? Was die vielen wechselnden Beziehungen? Was bleibt am Ende denn übrig? Bindungslosigkeit und Unverbindlichkeit.

Ich glaube, im Leben kommt es auf beides an: Auf Veränderung, wenn es um wahren Fortschritt. Veränderung um der Veränderung willen ist Aktionismus und Leerlauf. Aber was mir bei allem noch wichtiger erscheint, ist: dass wir bleiben. Bei Menschen, bei Aufgaben, bei Pflichten und bei Gott.

Es ist keine Kunst, sich immer etwas Neues einfallen zu lassen. Es ist schon viel eher eine Kunst dranzubleiben. An der Seite eines Menschen, bei einer wichtigen Aufgabe, die ich mir gestellt habe. Wer kennt sie nicht, die Höhen und Tiefen. Beim Klavierüben… Nicht immer ist es gerade eine Freude. Und doch: nur wer dranbleibt, an der Kunst, wird Bleibendes schaffen können. Und nur wer drin bleibt in einer Freundschaft, in der Ehe, der wird auch zusammen wachsen – zusammenwachsen. „Waren Sie gut verheiratet?“ „Ja, mit allen Höhen und Tiefen.“ Nicht was sich in unserem Leben alles verändert hat, verändert unser Leben. Sondern woran wir geblieben sind. Über all die Jahre hinweg.

Dies gilt auch für den Glauben. Auch hier ist ja die Gefahr groß, dass Menschen mal hier und da was suchen, wie ein Schmetterling. Christlicher Glaube dagegen ist eine echte Beziehungsreligion. Und jede Beziehung braucht Zeit.
Jesus will uns genau dafür gewinnen: für eine bleibende Beziehung zu Gott. Im Johannesevangelium hat er deshalb Bilder für uns gemalt. Selbstportraits für unsere Seele. Sie lassen tief hineinblicken in das Wesen Jesu: „Ich bin der gute Hirte.“ Ein Bild bleibender Fürsorge, eine Zusage von Verlässlichkeit. Wir haben es am vergangenen Sonntag auf uns wirken lassen.
Und heute schauen wir auf sein Bild vom Weinstock. Gleich neunmal ist vom Bleiben die Rede. Damit wir sehen und verstehen, wie wichtig es ist zu bleiben, damit wachsen kann, was wachsen muss. „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Rebzweige, wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht.“ Das ist am Ende auch seine Zusicherung: „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Zeit.“ Suchen wir die Nähe zu Jesus, bleiben wir mit ihm verbunden. Das gibt Kraft und das bringt Frucht.

 „Du sagst, Gott sei so weit weg. Wer ist denn fortgegangen?“ An Gott liegt es nicht. Er ist in Jesus Christus entgegengekommen und er kommt auch jetzt auf uns zu. Wenn wir ihn in unserer Mitte wissen und auf sein Wort hören. Wenn wir ihn dann leibhaftig empfangen, damit er in uns bleibt und wir in ihm. Auch das ist ein wunderbares Bild von ihm für uns: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben.“ Das ist am Ende auch die einzige Veränderung, auf die es im Leben ankommt.

Amen.

 

Herr Jesus Christus,
Du hast uns Gott nahegebracht. Und Du willst uns dabei helfen, Gott noch näher zu kommen.

Schenke unserer Gesellschaft, einen Sinn für bleibende Werte.

Schenke den Ehepaaren gerade in schwierigen Zeiten innere Entschlossenheit zur Treue.

Schenke einen klaren Blick für das Wesentliche, wenn der Überblick verloren zu gehen droht.

Schenke unseren Jugendlichen Ausdauer, wenn es darum geht wichtige Ziele zu erreichen.

Schenke uns Christen die Erfahrung, dass wir verbunden mit dir zu einem glücklichen -weil sinnerfüllten- Leben finden.

Herr Jesus Christus,
Du bist der Weinstock… für dieses einprägsame Bild danken wir dir. Amen.

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