Gedanken zur Karfreitagsliturgie
Zur Einstimmung
Am Ende war alles endlich vorbei. Man hatte geschafft, was man schaffen musste: Jesus war tot. – Er musste sterben in ihren Augen. Und vor ihren Augen. – Es war am Ende viel zusammengekommen. Zu viel: Nicht nur, dass er ihnen immer wieder ins Gewissen geredet hatte. Er hat auch wiederholt in aller Öffentlichkeit den Sabbat entweiht. Und behauptet: Der Sabbat sei für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat. Er hatte den Tempel in Aufruhr gebracht. Und das Geschäft der Händler und Geldwechsler beschädigt. Aber vor allem hatte er behauptet: Er sei Gottes Sohn. Was für eine Gotteslästerung! Dieser Mann muss sterben! – Selbst konnten sie ihn nicht zum Tode verurteilen. Man musste Pilatus gewinnen. Der gab ihnen Barabbas frei. Dieser mörderische Räuber erschien ihnen weniger gefährlich als Jesus. Pilatus hat das alles wohl nur am Rande interessiert. Schließlich konnte er seine Hände in Unschuld waschen – und hatte wieder seine Ruhe…
Den Kreuzweg hat Jesus überlebt. Blutüberströmt, zerfetzt. Mit letzter Kraft. Bei aller Brutalität unterwegs: es gab auch zärtliche Augenblicke. Maria, Veronika…, Frauen haben geweint und ein gewisser Simon von Zyrene mitgetragen.
Endlich war er am Kreuz. Nach drei Stunden bricht eine große Finsternis herein. Und nach sechs Stunden wird er seinen letzten Atemzug tun. Er sackt in sich zusammen und erstickt. Die Beine musste man ihm nicht mehr brechen. Den letzten Stoß gab man ihm ins Herz. – Wer ist da eigentlich gestorben? Und warum?
Von Auferstehung konnte zunächst noch keine Rede sein. Die meisten waren untergetaucht. Aus Furcht, mit diesem Gottverlassen am Kreuz in Verbindung gebracht zu werden. Nur Josef von Arimathäa und Nikodemus trauen sich heraus. Bitten um seinen Leichnam und bestatten ihn. Tot ist tot. Was bleibt, ist allenfalls die Trauer, dass da einer gescheitert ist, von dem man sich doch so viel versprochen hatte. Die Sache Jesu – am Ende eine einzige Enttäuschung? …
Wir begehen die Karfreitagsliturgie 1986 Jahre nach Ostern. Sein Kreuz ist geblieben. Das Kreuz so vieler anderer Menschen auch. Aber das Verständnis ist gewachsen. Soweit, dass wir einen Gekreuzigten verehren – ihn lieben. Warum? Weil einer aus Liebe zu uns – für uns gestorben ist. Aus dieser Liebe erwächst Hoffnung. Und neues Leben. Ostern!
Jesu letzte Worte vom Kreuz
Welches Wort möchte ich einmal mit meinem letzten Atemzug sprechen?
Die letzten Worte Jesu am Kreuz wurden seit jeher verstanden als ein kostbares Vermächtnis. Es sind aufmerksame Worte der Verbundenheit und Fürsorge, Worte des Gebets.
„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23,34)
Jesu erstes Wort ist eine Bitte um Erbarmen. Er betet nicht für sich, sondern für jene die ihn ans Kreuz gebracht haben. Sie haben seine Zuwendung,. sie haben sein Kreuz am allernötigsten.
„Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43).
Nach einer Bitte Jesu folgt die Erhörung einer Bitte durch ihn. Wie schon bei der ersten Bitte wird auch hier eines deutlich: Jesu Leiden macht unmittelbar Sinn – schon im Angesicht seines Todes. Da wird ein Sünder begnadigt, weil er aus tiefstem Herzen bereut.
„Frau, siehe, dein Sohn! Siehe, deine Mutter!“ (Joh 19,26-27)
Es tut gut zu sehen, dass Jesus am Ende nicht menschenverlassen sterben musste. Der Kreuzweg ist bis zum Ende ein Schauplatz äußerster menschlicher Grausamkeit, aber auch Begegnungsort liebevoller Zuwendung. Dafür standen Simon von Zyrene und Veronika, dafür stehen jetzt beim Kreuz Maria und Johannes.
„Keiner von uns lebt sich selber, keiner von uns stirbt sich selber“, wird Paulus in seinem Brief an die Römer schreiben.
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34)
Das vierte Wort Jesu am Kreuz ist wieder ein Gebet. Scheinbar in äußerster Gottverlassenheit betet er Psalm 22. Jesus kennt diesen Psalm auswendig. Er stimmt den Psalm an und hört gewiss nicht auf, ihn zu beten. Wer den Psalm 22 durchbetet, findet die ganzen Abgründe der Passion Jesu wieder. Aber er wird wie er daraus hervorgehen in der tiefen Zuversicht, mit der dieser Psalm endet: „Sie werden sein Tun den später Geborenen künden. Denn er hat es vollbracht“ (Ps 22, 32).
„Mich dürstet!“ (Joh 19,28)
Ein durch und durch menschliches Verlangen. Und doch geht es bei diesem Durst um mehr. um den Durst, den Willen des Vaters zu vollenden. So wie es Jesu Speise war, den Willen des Vaters zu tun (vgl. Joh 4, 34).
„Es ist vollbracht!“ (Joh 19,30)
Ein Wort, wie ein tiefes inneres Aufatmen. Da hat es einer am Ende wirklich geschafft und am Ende vollbracht. Nein, Jesus ist nicht zu Tode gebracht worden. Er hat uns das Leben gebracht. Dass das Kreuz nicht das Ende ist, wird in diesem Wort Jesu schon ganz lebendig spürbar. Am Ende sind wir durch ihn erlöst.
„Vater, in Deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46).
Jesu letztes Wort ist ein Wort des Vertrauens, des Anvertrauens. Sein Gottvertrauen wurde bis auf´s Äußerste geprüft – es hat ihn bis zum Ende getragen.
Wie wir am Ende einmal sterben werden, liegt auch in unseren Händen. Ob wir unsere Hände im Leben immer wieder vertrauensvoll falten, um sie dann im Sterben vertrauensvoll für immer zu öffnen.
Einstimmung zur Kreuzverehrung
„Seht das Holz des Kreuzes, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt!“
Mit diesem Worten wird das Kreuz uns allen vor Augen gestellt.
Der Tod ist nicht mehr der Sargnagel aller Hoffnung. Die Tür wird sich gleich öffnen. Denn das Kreuz, sein Kreuz will und muss sich Zugang verschaffen in unsere Kirche und in unser Leben.
Der Weg zum Leben geht nicht am Kreuz vorbei. Jesus hat das Kreuz ganz bewusst in sein Lebensprogramm aufgenommen. Gelingt das auch uns?
„Du kannst das Kreuz aus deinem Leben nicht streichen, ohne von ihm erdrückt zu werden.“ (Phil Bosmans)
Die Karfreitagsliturgie lädt uns ein, ganz persönlich vor das Kreuz zu treten. Wir verehren freilich nicht das Kreuz. Wir verehren ihn, unseren Herrn Jesus Christus, der uns am Kreuz in aller Liebe erlöst hat. Aus seinem Kreuz erwächst Kraft für unser Kreuz. Und die Bereitschaft mitzutragen am Kreuz anderer.