Hunger und Durst
Hunger und Durst
Gedanken zum 3. Fastensonntag
„Ich habe Hunger, ich habe Durst…!“ Wenn man mit Kindern länger im Auto unterwegs ist, wird man eines ganz schnell lernen: Störungen haben Vorrang. Erst recht, wenn ein ganzes Volk Hunger und Durst hat.
Ein Gefühl von Hunger
Das Volk Israel – kurz nach dem Auszug aus Ägypten in der Wüste… In Ägypten waren sie unfrei, das ist wahr. Aber immerhin waren die Fleischtöpfe voll und sie waren satt. Und jetzt? Zwar sind sie auf dem Weg aus der Sklaverei in die neue Freiheit, aber dafür haben sie jetzt Hunger und Durst. „Hunger lehrt beten“, sagt man. Aber das auserwählte Volk betet nicht – es murrt!
Gott meint es gut mit seinem kleinen Volk. Er ist ein geduldiger Pädagoge. Er nimmt die Israeliten, das gerade frei laufen gelernt hat, an der Hand. Und noch öfter wird er ihm aufhelfen, das kleine Volk „aufpäppeln“. Gott weiß: Es muss dem Menschen schon auch leibhaftig gut gehen. Von einem leeren Teller kann man bekanntlich nicht runterbeißen. Und ein leeres Glas kann man nicht auswinden.
Bischof Stimpfle hat seinen jungen Priesteramtskandidaten folgenden Rat mitgegeben: Das Wichtigste für das geistliche Leben ist ausreichend Schlaf, danach eine ausgewogene Ernährung und dann das Gebet. Leib und Seele gehören schon zusammen.
Wieviele Kinder gehen morgens ohne Frühstück in die Schule… Da kann man noch so viel motivieren, wenn der Magen knurrt?
Und hat nicht Jesus Brot vermehrt! Er wollte die Menschen, die ihm so lange zugehört haben, nicht hungrig zurücklassen.
Im heutigen Evangelium begegnen wir ihm am Jakobsbrunnen. Diesmal ist er es, der müde ist und Durst hat. Und er bittet ganz einfach um einen Schluck Wasser. Unser Glaube ist durchaus leibhaftig.
Ich habe satt
Aber dann, wenn der Mensch satt ist, wenn er genug gegessen und getrunken hat? Was dann? Noch größere Teller? Noch tiefer hineinschauen ins Glas?
Die Verlockung war schon immer groß – nicht nur in der Wüste, das süße Manna, die Wachteln und das kühle Nass. Und auch die Tausende, die Jesus auf wundersame Weise mit Brot und Fisch gespeist hat…. Sie wollten am Ende nur noch eins: „Herr, gib uns immer dieses Brot!“
Die Versuchung ist groß, dass man mehr und immer noch mehr will. Alles, was auf den Teller draufpasst; alles, was reingeht. „All you can eat!“
Und dann, wenn man satt und satter ist, wenn man trinkt und noch mehr trinkt? Man kann mit vollem Bauch verhungern – und vor vollen Krügen verdursten: in seiner Seele. Gibt es vielleicht noch einen anderen Hunger, einen tieferen Durst? Ja! Aber dafür müssen über den Tellerrand schauen und nicht zu tief hinein ins Glas.
Seele braucht Hunger
Diese Einsicht gewinnt das Volk Israel. Obwohl es immer wieder murrt, bringt Gott sein Volk langsam aber sicher durch, hin bis zum Gottesberg Horeb. Dort stellen die Israeliten fest: „Ja, es gibt mehr. Gott gibt mehr!“ Die Gebote, die Thora, das Gesetz Mose! Es wird ihnen das Teuerste werden, das Allerheiligste, das sie fortan in ihrer Mitte führen.
Und auch Jesus wird den Menschen mehr geben, weil sie mehr brauchen als Brot, das doch wieder verdirbt, und Wasser, das doch wieder Durst macht. Freilich muss man da schon bei ihm bleiben, ihm zuhören, wie die Frau am Jakobsbrunnen. Ihr sagt er gegen Ende des Gesprächs: „Wer von diesem Wasser trinkt, der wird wieder Durst bekommen…. wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird nie mehr Durst haben. Vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt.“
Und diesen Durst gibt es wirklich. Dieses Verlangen nach mehr ist eine tiefe Sehnsucht der Seele. Ja, unsere Seele hat Hunger und Durst. Bekommt sie, was sie braucht? Oder leidet sie nicht oft Hunger und Durst?
Viktor E. Frankl hat dazu eigens ein Buch geschrieben. Es trägt den bemerkenswerten Titel: „Das Leiden am sinnlosen Leben.“ Dieses Leiden der Seele an der Sinnlosigkeit findet sich besonders ausgeprägt inmitten äußerlichen Überflusses. Und: die Seele sehnt sich nach Liebe. Und Liebe sehnt sich nach mehr Liebe. „Die Liebe stirbt niemals an Hunger, wohl aber an Übersättigung.“ (Ninon de Lenclos)
Und die Seele hat Hunger nach Glauben und Spiritualität. Geht es vielleicht darum, um diese Sehnsucht nach dieser inneren Quelle ewigen Lebens?
All das darf uns nicht verwundern. Die Seele weiß schließlich in ihrem Innersten, woher sie kommt und wofür sie eigentlich erschaffen ist. Sie ist ein Ort der Begegnung zwischen Mensch und Gott. In unserer Seele können wir die sichtbare und die unsichtbare Welt miteinander verbinden. Unsere Seele ist transparent und transzendent.
Gott weiß darum. Er hat uns Menschen ja auch mit Leib und Seele gewollt und dann erschaffen.
Die Fastenzeit lädt uns ein, auf unsere Ernährung zu achten. Schauen wir da nicht nur auf unseren Leib. Achten wir auch unsere Seele.
Und vergessen wir nie: Auch Gott hat Durst. Bis zum letzten Atemzug. Gott dürstet nach dem Menschen. „Mich dürstet!“ Diesen letzten Worten Jesu am Kreuz dürfen wir unseren Glauben schenken. Und gibt es darauf eine schönere Antwort als die des Psalmisten: „Meine Seele dürstet nach Dir, mein Gott“. Amen.