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Liturgie für´s Leben – Der Gebetsschatz der Psalmen

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Liturgie für´s Leben – Der Gebetsschatz der Psalmen

Voller Erfahrung
Es gibt wohl kaum eine Lebenserfahrung, die sich in den Psalmen nicht finden ließe. Im Gebet des Einzelnen, in seinem Beten für andere oder im gemeinsamen Gebet der ganzen Gemeinde. Dabei ist das DU Gottes das beständige Gegenüber. Gott ist der unmittelbare Ansprechpartner. Das Gebet ist die Antwort gegenüber Gott, der ihn ins Leben gerufen hat. Gott erscheint dem Beter oft so vertraut, dann aber auch wieder so fremd. Es wird sogar sein Fehlen beklagt. Es ist der nahe und doch zugleich auch der große und unbegreifliche Gott.

Gott wird vertrauensvoll angerufen, immer wieder hoch gelobt; manchmal wird aber auch vor ihm geklagt, mit ihm gerungen und gehadert. Der Beter setzt immer wieder beharrlich auf seine Hilfe, pocht darauf, dass Gott ihm allein Recht verschaffen kann gegen die Feinde; und Gott wird es auch tun. Das Handeln Gottes wird entweder aus der Vergangenheit erinnert oder für die Zukunft in Aussicht gestellt. Das ist auch Anlass, auf ihn zu vertrauen und in schwierigen Lagen seine Hilfe anzurufen.

Gott sieht in das Innere des Menschen, in sein Herz. Und die Psalmen, sie kommen aus der Mitte der Seele des Menschen; sie zeigen echte Gefühle. Der Psalmbeter schüttet immer wieder sein Herz aus vor Gott (vgl. Ps 62) in einer spürbaren Verbindung: „meine Seele“ – „mein Gott“.

Psalmen schenken einen Blick in die Geschichte des Volkes, aber auch in das Lebensschicksal des Einzelnen.

Häufig geht es um Gesetze und Gebote. Und darum, dass es dem Menschen erfahrbar zum Heil dient, sie zu beachten. Ihre Missachtung ist verbunden mit Sünde und Schuld und bringt Tod und Verderben. Sowohl für den Einzelnen, wie für das ganze Volk.

Dabei ist Gott immer gerecht und schafft Recht und Gerechtigkeit. Und er ist auch reich an Erbarmen. Darum haben die Psalmen immer wieder auch Grund, die Treue und Güte, die Nachsicht und Huld und das wunderbare Wirken Gottes in seiner Macht und Herrlichkeit zu lobpreisen.

Was für eine Sammlung!
Das Buch der Psalmen ist eine Sammlung von 150 Psalmen. Das Judentum spricht vom „Buch der Lobgesänge“ (obschon es keineswegs nur Lobgesänge enthält). Das Wort Lobgesang wird 30 Mal erwähnt in den Psalmen. Die griechische Übersetzung der Septuaginta spricht von „Psalmoi“ (von „psallein“ – „singen“) und bezeichnet damit Gesänge mit Saitenspiel, „Saitenlieder“. Luther nannte die Sammlung der Psalmen den Psalter, die „kleine Biblia“.

Der Psalter besteht aus kleineren Teilsammlungen und wurde später formal in fünf Bücher unterteilt, die jeweils mit einer angefügten Doxologie und einem bekräftigenden „Amen“ schließen. Sicher auch in Anlehnung an die fünf Bücher Mose. Die jüdische Tradition weiß: „Mose gab Israel die fünf Bücher der Tora, und David gab Israel die fünf Bücher der Psalmen“ (Midrasch Tehillim zu Ps. 1,1). Die einzelnen Kapitel schließen.

Die Sammlung der Psalmen ist ein alttestamentliches Gotteslob, das über die Jahrhunderte gewachsen ist. In den Psalmen selbst wird auf diesen langen Atem Bezug genommen; etwa in Formulierungen wie „von Geschlecht zu Geschlecht“. Einzelne Psalmen sind im Laufe ihres Gebrauchs und über Generationen erweitert und aktualisiert worden. Dabei haben sich auch Einflüsse aus Nachbarkulturen niedergeschlagen (Babylon, Syrien).

Die Psalmen verdanken sich verschiedenen, zumeist unbekannten Autoren. Später hat man sie zumeist dem König David zugeschrieben, auch um ihnen ein Mehr an Würde zu verleihen.

Die Psalmen fanden (und finden bis heute) Verwendung im privaten und familiären Gebetsleben wie im Tempelkult und der Gemeindeliturgie. Der Psalter wurde in weiten Teilen als Gesangbuch genutzt.

Darum stehen oft zu Beginn besondere Hinweise zum Verfasser, auf die Situation, in der der Psalm gebetet wurde (etwa „Wallfahrtslied“), auf die Gattung (z. B. „Gebet“, „Lobgesang“) sowie zum musikalischen Vortrag (z.B. „zur Instrumentalbegleitung gesungenes Lied“, „für den Chormeister“ „nach Weise des Kelterliedes“.

Gattungen
Die Psalmen umfassen eine Vielzahl von Gattungen. Sie entsprechen dem Anlass und Anliegen des Gebets:

Hymnen (Ps 8, 19; 150) beginnen häufig mit einer Aufforderung zum Lob („singt“, „lobt“, „preist“) und dann folgt die Nennung des Anlasses, warum das Lob gesungen wird. Bsp.: Ps 8.

Klage- und Bittpsalmen (Ps. 3-7, 22, Ps. 140-143) erscheinen besonders häufig. Zu Beginn steht die Anrufung Gottes, es folgt die Schilderung der Not. Aus der Klage ergibt sich die Bitte -oft verbunden mit einem Wunsch, einem Gelübde oder einem Vertrauensbekenntnis. Es gibt sowohl Klagelieder des Einzelnen wie des Volkes. Bsp.: Ps 22.

Dankpsalmen (Ps 18, Ps 30) erwähnen das wunderbare Handeln Gottes. Oft wird die Gemeinde eingeladen, in den Dank mit einzustimmen und eine Form des Dankopfers darzubringen. Sie sind eine Art „Votivtafel“ in Worten. Bsp.: Ps 138.

Dankpsalmen finden sich freilich auch außerhalb des Psalters (Jes 38, 10-20; Jona 2,3-10; Sir 51)

Zionspsalmen (Ps 46, 48, 84, 87) beschreiben Jerusalem als feste Burg, als den Zion. Es ist der irdische „Wohnort“ Gottes, der Mittelpunkt des Kosmos, von dem aus Recht ergeht. Hierher werden am Ende der Zeit alle Völker pilgern. Bsp.: Ps 48.

Wallfahrtspsalmen (Ps. 120-134)  sind verbunden mit den großen Wallfahrten zum 2. Tempel aus Anlass der großen Jahresfesten. Sie handeln vom Gottesvolk Israel, von Jerusalem, dem „Zion“; aber auch von der Familie und der bäuerlichen Arbeit ist vielfach die Rede, eben alldem, was Menschen auch heute noch an Anliegen mit auf die Wallfahrt nehmen. Bsp. Ps 127.

Königspsalmen (Ps 2, 18, 110) sind ein Spiegel des jüdischen Königshofes (Inthronisation/ Hochzeit): Sie rühmen das tugendhafte Wirken des Königs. Dabei wird immer wieder betont, dass der König von Gott erwählt ist. Ein „König von Gottes Gnaden“ also. Denn der eigentliche König ist Gott selbst, der auf dem Zion thront. In späterer Zeit werden die Königspsalmen auf den erwarteten Messias bezogen. Bsp.: Ps 2.

Geschichtspsalmen (Ps 77, 78, 105, 106) erzählen die Heilsgeschichte poetisch nach, die das auserwählte Volk Israel mit seinem Gott erfahren hat. Sie konzentrieren sich auf das Wunder der Errettung aus Ägyptischer Gefangenschaft (Ps 77, 114) oder spannen den Bogen bis zur Verwerfung des Nordreiches (Ps 78)  Bsp. Ps 105

Weisheitspsalmen (Ps 1, 19, 49, 119) weisen einen lehrhaften Charakter auf. Sie preisen selig, wer sich an die Gebote Gottes hält (Ps 1) und warnen umgekehrt vor der Anhänglichkeit an den oft ungerechten irdischen Reichtum und seine Vergänglichkeit (Ps 49). Sie erziehen so zu einer gewissenhaften Torafrömmigkeit (Ps 1, 19) Bsp.: Ps 119.

 

Gott und der Mensch in der Welt der Psalmen

Gott und die Welt
Die Psalmen wenden sich immer an Gott. Er ist hoch und erhaben. Ob der Einzelne allein oder in der Gemeinde, immer steht der Mensch vor seinem Gott. 
Die Welt wird gesehen als Schöpfung Gottes. Er erhält sie auch. Gott allein ist Herr. Alle Gewalten im Himmel und auf Erden sind ihm untertan.

Auf dem Zion hat er sich ein Haus erbaut. Von dort aus lenkt er das Geschick der Völker nach seiner Gerechtigkeit. Alle Bewohner der Erde sind aufgerufen, sich zu Gott zu bekehren. Dies wird am Ende der Geschichte auch so sein.

Der Mensch vor Gott
Der Mensch ist vergänglich und doch wenig geringer als Gott gemacht. Ein Leben ohne Gott ist kein Leben. Das weiß der Beter. Darum offenbart er sich Gott. Seine Psalmen künden von Glück und klagen das Leid, danken für Rettung und geloben Umkehr und ein gottgefälliges Leben.

Der Einzelne versteht sich immer als Teil des auserwählten Volkes. In diese Gemeinschaft ist jeder von Gott berufen. Und hinzutreten kann jeder, der in das Gebet der Psalmen einstimmt.

Die Feinde
sind entweder persönliche Widersacher, die verleumden, Gewalt antun oder verfolgen, sodass der Beter Zuflucht im Heiligtum sucht (Ps 7). Oder aber das ganze Volk weist Gott hin auf seine Gegner.

Der Feind wird oft als gottloser Frevler beschrieben, die feindlichen Völker als Heiden. In oft drastischen Worten wird Gott aufgefordert, die Feinde zu schlagen und so seine Macht zu demonstrieren.

Die Psalmen als Brücke zwischen Altem und Neuem Testament
Die Psalmen verbinden im Gebet Juden und Christen. Das Buch der Psalmen ist überdies das meist zitiertes Buch im NT. Dies liegt daran, dass die Juden damit zuinnerst vertraut waren. Man kannte sie auswendig. Auch Jesus hat mit den Psalmen gebetet. Die Psalmen haben dabei nicht nur das Gebetsleben geprägt, sondern auch das gläubige Denken. Jesus nimmt immer wieder Bezug auf die Glaubenswelt der Psalmen (Mt 21, 16.42-46; 22, 41-46; Lk 24). Ja, er deutet ihre Verheißungen mitunter auf sich. Am deutlichsten wohl Ps 23 in seinem Gleichnis vom guten Hirten. Aber auch das Bild vom Weinstock (ein Bild für das Volk Israel, dessen Besitzer Gott ist) findet sich in den Psalmen wie auch in den Evangelien. Auch die neutestamentlichen Briefe greifen die Psalmen auf, um die Messianität Jesu heilsgeschichtlich zu untermauern.

Heute mit den Psalmen beten
Die Psalmen schöpfen aus dem jahrtausendealten Gebetsschatz. Vor allem die Gemeindepsalmen waren wohl für den liturgischen Gebrauch als allgemeines Gotteslob bestimmt. Dagegen wurden die Psalmen der einzelnen wohl im Privaten gebetet. Sie können bis heute als Meditations- und Gebetbuch verstanden werden.

In der katholischen Kirche werden die Psalmen einleitend im Stundengebetes rezitiert. Sie finden sich auch als Antwortgesang in der Feier der Eucharistie. Dort verbindet ein Psalm oftmals die Lesung aus dem AT mit dem Evangelium. Zudem greifen auch zeitgenössische Kirchenliedern Psalmenworte auf (etwa Ps 23 in „Mein Hirt ist Gott der Herr“ GL 421).

In den Psalmen begegnen uns die Urgefühle des Menschen im Glauben und bringen so das Innerste der Menschenseele vor Gott. So ermöglichen die Psalmen, sich in die Situation anderer einzufühlen. Und ermutigen zugleich, selbst das offene Gespräch im Gebet mit Gott zu suchen.

Darüber hinaus lassen sich die Psalmen auch mit anderen beten. Sie stiften Glaubensgemeinschaft durch gemeinsames, solidarisches Gebet.

Manche Abschnitte der Psalmen sind spürbar alttestamentlich geprägt. Etwa die Gedanken an Rache und Vergeltung. Dies kann aber auch heute noch als Einladung verstanden werden, vor Gott nichts an menschlichen und allzu menschlichen Gefühlen zu verstecken. Zugleich aber dürfen wir dankbar bedenken, dass sich im Geist Jesu der Wille des Vaters erst ganz und in aller Liebe offenbart hat.

Wenn wir Psalmen beten, erinnern wir uns gerne daran, dass Jesus selbst in der Gebetswelt der Psalmen daheim war. Lassen wir einzelne Verse bewusst auf der Zunge zergehen. Die Gebetsworte der Psalmen wollen verkostet werden.

Wie so oft gilt es, sich gerade für das Gebet der Psalmen Zeit zu nehmen. Erst durch ihr Beten findet man im Laufe der Zeit einen inneren Zugang zu ihrer eigentlichen Kraft. Insofern sind die Psalmen auch eine Einladung zu meditativem Gebet.

Beten verändert den Menschen. Das Gebet ist der beste Weg, der es Gott erlaubt, uns wirklich menschlich zu machen. Diese innere Veränderung lässt sich in so manchen Psalmen selbst ablesen. Weil der Beter seine Gefühle vor Gott offenlegt, ihm sein Herz öffnet, kann Gott den Menschen von Innen heraus neu gestalten.

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