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„Liturgie fürs Leben“ – VI. Christliche Bräuche und Volksfrömmigkeit

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„Liturgie fürs Leben“ – VI. Christliche Bräuche und Volksfrömmigkeit

Bräuche braucht man
Welche Bräuche prägen unser tägliches Leben? Welche Bräuche finden sich in unserem Jahresablauf? Wir können sie anscheinend gut brauchen, sonst würden wir sie nicht pflegen. Manche Bräuche sind rein menschlich, praktisch, gut.

Neben den regelmäßigen Bräuchen gibt es auch anlassbedingte: „Zum Geburtstag“, „An Weihnachten“, „Zu Ostern“.

Die Bräuche bilden das „Brauchtum“. Und Brauchtum ist regional verschieden, weil kulturell bedingt. In Japan ist es Brauch, als Zeichen der Trauer weiße Kleidung zu tragen. In Fernost wird möglichst laut geschmatzt, um hörbar zu machen, wie gut es schmeckt.

Die meisten Bräuche haben einen menschlichen Ausgangspunkt. Sie ordnen das zwischenmenschliche Miteinander. „Bei uns ist es üblich“;  „Es ist halt der Brauch…“. Neuankömmlinge müssen sich damit oft erst vertraut machen. Können aber so auch leichter hinein finden in das Zusammenleben mit den Menschen vor Ort.

Bräuche verbinden nicht nur Menschen. Sie verbinden auch mit der Schöpfung, in und mit der der Mensch als Geschöpf lebt. Saat und Ernte sind  nicht menschengemacht. Sie hängen ab von günstigen Umständen, die von (Fruchtbarkeits-)Gottheiten, von Gott erbeten werden (Bittgänge) und dann auch bedankt werden (Erntedankfeste).

Dabei haben Menschen früherer Zeiten auch an die Gegenwart böser Mächte geglaubt. Die Dunkelheit der Nacht, des Winters standen u. a. dafür. Und so nimmt es nicht Wunder, dass sich auch Bräuche gebildet haben, die zur magisch-ritualisierten Abwehr und Vertreibung böser Mächte dienten. „Der Winter wird vertrieben.“

Bräuche im Lauf der Zeit
Bräuche haben oft eine lange Geschichte. Sie tun dem Leben gut, erhalten es, schenken Zuversicht, Trost und Lebensfreude. Brauchtum macht das Leben bunt und abwechslungsreich. Sie sind Ausdruck eines Lebens mit Herz. Nicht der Verstand ist damit zuerst gefragt. Man braucht die Bräuche nicht wissenschaftlich zerlegen. Es geht vielmehr um einen größeren Rahmen. Bräuche verweisen oftmals auf einen tieferen Sinn.

Bräuche haben nur eine Lebenserwartung, wenn sie auch verstanden und als sinnvoll erachtet werden, also auch brauchbar sind. Wird der innere Sinn der Bräuche nicht mehr verstanden, werden sie letztlich unbrauchbar. Allenfalls noch als bloße „Tradition“ beibehalten.

„Volksfrömmigkeit“
Volksfrömmigkeit ist der Ausdruck einer Religiosität, die im Volk verwurzelt ist, vom Volk praktiziert wird und so auch weitergegeben wird von Generation zu Generation. Oft über Jahrhunderte. Sie findet sich in allen großen Religionen.

Sie gilt es zu unterscheiden von der theologischen Wissenschaft und dem offiziellen Kult der Glaubensgemeinschaft.

Die Volksfrömmigkeit hat gute Gründe. Sie

  • gründet auf menschlichen Erfahrungen, die religiös gedeutet werden.
  • ist Ausdruck der Furcht und Ehrfurcht vor dem Unerklärlichen, Göttlichen.
  • vereinfacht Glaubenswahrheiten.
  • entspringt der Sehnsucht nach einfacheren, volksnäheren Frömmigkeitsformen.
  • sucht nach sinnlich-dinglichen Ausdrucksformen.

Da die Volksfrömmigkeit aus dem Volk erwächst, nimmt sie in verschiedenen Kulturen ganz unterschiedliche Formen an. Sie ist Ausdruck eines Glaubens, der sich in die Kultur eines Volkes eingelebt (inkulturiert) hat.

Was „bringt“ Volksfrömmigkeit?

  • Sie bereichert die Liturgie.
  • veranschaulicht die Feste, aus denen sie erwachsen ist.
  • sie wirkt nach (Palmbuschen werden auf den Acker, ans Grab, in den Herrgottswinkel gestellt).
  • prägt das öffentliche Leben.
  • ist ein „niederschwelliges Angebot“, das den Alltag mit dem Glauben in Berührung bringt.
  • schafft religiöse Traditionen, die Halt geben und tragen.
  • ermöglicht Privatfrömmigkeit.

Menschen, die fernab ihres Volkes leben pflegen oft sehr sorgsam die „überlieferten Bräuche“, um ihre Wurzeln nicht zu vergessen. Das hält dann auch in der Ferne zusammen. (Das Volk Israel hat in den Jahrzehnten der Babylonischen Gefangenschaft deshalb als religiöse Gemeinschaft überlebt, weil sie in der Fremde –ohne Tempelkult- ihre alten religiösen Gewohnheiten gepflegt und erweitert haben…)

„Getaufte“ Bräuche
Menschen sind unheilbar religiös. Dies hat sich auch von jeher in Bräuchen ausgedrückt. Heidnische Bräuche sind zwar nicht christlich,  aber doch religiös. Das Christentum hat heidnische Bräuche und Elemente der Verehrung von Gottheiten darum nicht einfach abgeschafft. Man hat vielmehr versucht, sie zu verstehen und sie oftmals im christlichen Sinn umgedeutet. Für die Missionierung war dies notwendig –im Blick auf die Akzeptanz des christlichen Glaubens. Aber auch hilfreich. Denn vor dem Hintergrund des Althergebrachten konnte der Blick auf ein besseres Verständnis der neuen Lehre frei werden.

So wurde der Weihnachtstermin um die Wintersonnwende gelegt, an der in der römischen Antike der „Sol invictus“ (der unbesiegbare Sonnengott) gefeiert wurde. Die Sonne, die nicht untergeht, ist christlich verstanden Jesu Christus – „das Licht der Welt“.

Die evangelisierende Kraft der Volksfrömmigkeit
Die katholische Kirche hat Volksfrömmigkeit immer geschützt, war aber ebenso bedacht, Auswüchse zu unterbinden. Insbesondere dann, wenn Bräuche nicht mehr als Ausdrucksform von Glaubensinhalten gesehen wurden, sondern sich verselbstständigten. Damit war die Gefahr verbunden, dass es nur noch um die „äußeren“ Bräuche ging, nicht aber um deren eigentlichen Glaubensinhalt. Immer wieder mussten Bräuche der Volksfrömmigkeit verteidigt werden gegen ein magisches Verständnis und Aberglauben.

Dessen ungeachtet aber wohnt christlicher Volksfrömmigkeit eine tiefe Kraft inne, die Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Evangelium Gaudii“ ausführlich würdigt. Hier seien nur einige kurze Auszüge genannt:

Die Kultur ist etwas Dynamisches, das von einem Volk ständig neu erschaffen wird (…). Der Mensch „ist zugleich Kind und Vater der Kultur, in der er eingebunden ist“.

Wenn in einem Volk das Evangelium inkulturiert worden ist, gibt es in seinem Prozess der Übermittlung der Kultur auch den Glauben auf immer neue Weise weiter.

„Das Volk evangelisiert fortwährend sich selbst.“ Hier ist die Volksfrömmigkeit von Bedeutung, die ein authentischer Ausdruck des spontanen missionarischen Handelns des Gottesvolkes ist.

In der Volksfrömmigkeit kann man die Weise erfassen, in der der empfangene Glaube in einer Kultur Gestalt angenommen hat und ständig weitergegeben wird. Ich denke an den festen Glauben jener Mütter am Krankenbett des Sohnes, die sich an einen Rosenkranz klammern, auch wenn sie die Sätze des Credo nicht zusammenbringen; oder an den enormen Gehalt an Hoffnung, der sich mit einer Kerze verbreitet, die in einer bescheidenen Wohnung angezündet wird, um Maria um Hilfe zu bitten; oder an jene von tiefer Liebe erfüllten Blicke auf den gekreuzigten Christus. Wer das heilige gläubige Volk Gottes liebt, kann diese Handlungen nicht einzig als eine natürliche Suche des Göttlichen ansehen. Sie sind der Ausdruck eines gottgefälligen Lebens, beseelt vom Wirken des Heiligen Geistes, der in unsere Herzen eingegossen ist (vgl. Röm 5,5).

Da die Volksfrömmigkeit Frucht des inkulturierten Evangeliums ist, ist in ihr eine aktiv evangelisierende Kraft eingeschlossen, die wir nicht unterschätzen dürfen.

Bräuche im Laufe der Zeit
Bräuche sind immer auch dem Lauf der Zeit –und nicht selten dem Zeitgeist-  ausgesetzt. In der Barockzeit hat sich die Volksfrömmigkeit besonders opulent entfaltet. In der Aufklärung (besonders im Josephinismus) wurde die Volksfrömmigkeit mit allen staatlichen Mitteln bekämpft.

Wie sieht es heute aus? Volksfrömmigkeit steht vor Herausforderungen, die sich aus ihr selbst ergeben:

Bräuche…

  • drücken eine Ehrfurcht vor dem Überkommenen aus. Ehrfurcht ist im Schwinden.
  • setzen eine Gemeinschaft voraus, die sich verbunden weiß. Gemeinschaft bröckelt.
  • setzten ein Wissen um den Anlass voraus. Der wird aber immer weniger verstanden. So verlieren Bräuche ihre Prägekraft oder werden stillschweigend umgeprägt. Aus Allheiligen wird „Halloween“; aus der St. Martinsfeier ein „Laternenfest“.

Symbole – Zeichen mit Aussagekraft
Symbole bilden ein wichtiges Stilmittel des Brauchtums. Symbole sind Zeichen, die mehr sagen als viele Worte. Symbole tragen eine Botschaft in sich. Wie ein Herz – für die Liebe. Auch das Licht einer Kerze weist über sich hinaus und wird als Ausdruck der Freude, des Trostes oder der Hoffnung und des Friedens allgemein verstanden.

Jesus selbst hat Symbole genutzt, ja sogar auf sich selbst angewendet: Die Johanneischen Bilder zeigen das besonders ausdrucksstark und finden sich wieder in Formen der Volksfrömmigkeit:

  • Ich bin das Licht – Kerzen.
  • Ich bin der Weg – Wallfahrten und Pilgerwege.
  • Ich bin die Tür – Dreikönigs-Segen über dem Eingang.
  • Ich bin das Brot – Brotsegen.
  • Ich bin der Weinstock – Johannesminne.
  • Jesus wird von Johannes auch als das „Lamm Gottes“ bezeichnet – zu Ostern werden nicht von ungefähr Osterlämmer gebacken.

Symbole sind deutungsoffen. Wie eben auch Gott nicht einfach definiert werden kann. Aber doch zum Nachdenken anregt. Sie verleiblichen den Glauben – Ostern kann man sehen (Licht), auf der Haut spüren (Osterwasser) und sogar essen (Osterfrühstück).

Freilich müssen Symbole verstanden und gedeutet werden können. Symbole, die nicht mehr auf ihren tieferen Inhalt verweisen, machen keinen Sinn mehr.

Weitere Ursprünge christlicher Bräuche
Der Wechsel der Jahreszeiten und die Fruchtbarkeit der Erde haben zu einem reichen Brauchtum geführt in  Flurumgängen, Segnungen, Danksagungen. Kalenderregeln waren eine wichtige Wettervorhersage, die nicht selten auch heute noch zu beachten ist. Oft machen sie sich an Heiligen-Gedenktagen fest. Überhaupt ranken sich um bestimmte Heiligenfeste bis heute gängige Bräuche. Die Martinsgans vor dem adventlichen Fasten, die Lichterfeiern am Luciatag, der Nikolaustag…

An Mariae Lichtmess war der angestammte Tag des Stellenwechsels. Man schenkte den eifrigen Dienstboten oftmals „Wachsstöcke“.

Aber auch einschneidende geschichtliche Ereignisse wie Pestzeiten, der Dreißigjährige Krieg oder die Türkenkriege gaben Anlass zu Gelöbnissen von Wallfahrten und zur Gründung von Bruderschaften.

Bekannte Formen katholischer Volksfrömmigkeit                                         

  • Gebete (Rosenkranz, Litaneien)
  • Lieder – Liedgut
  • Anwendungen von Segnungen
  • Volksandachten und Schauspiele (Passionsspiele)
  • Bittgänge, Prozessionen und Wallfahrten
  • Bruderschaften und Kongregationen
  • Errichtung von Wegkreuzen, Kapellen, Messstiftungen.

Volksfrömmigkeit erwächst aus der gelebten Frömmigkeit des Volkes. Bräuche der Volksfrömmigkeit unterstützen das Volk in seiner Frömmigkeit. Beides freilich wird in Zukunft nur so bleiben, wenn der Glaube lebendig bleibt im Volk.

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