Öffne Dich!
Öffne Dich!
Gedanken zum Evangelium am 23. Sonntag im Jahreskreis (Mk 7, 31-37)
Das erste Wort…
Mama, Papa… dieses erste eine Wort eines Menschen offenbart mehr als viele Worte, die später folgen. Ein Wort wie eine Befreiung. „Unser Kind spricht!“ Aber was, wenn ein Mensch nie anfängt auch nur ein Wort zu sagen?
Das früher noch gebräuchlichere Begriff „taubstumm“ bringt das Problem auf den Punkt: Menschen können nicht sprechen, weil sie nicht hören. Taubstumme sind zumeist gehörlos.
Nicht hören können und dennoch sprechen lernen ist sehr schwierig. Mit Zwerchfellkontraktionen und einer ganz besonderen Lufttechnik lernen manche über Jahre und unter großer Anstrengung sich „hörbar“ mitzuteilen.
Menschen, die nicht hören können, wirken aufmerksamer. Was man nicht hört, muss man eben sehen: Abschauen vom Mund, ablesen aus der Gebärdensprache.
Bei einer Predigt in Dillingen, wo seit Jahrzehnten gehörlose Menschen betreut werden, durfte ich das erleben. Ich sollte möglichst ohne Gesten, ruhig und mit deutlichen Mundbewegungen „gut sichtbar“ predigen. Alle waren sehr konzentriert. Auch ich. Unnötiges Gerede verbietet sich da von selbst. Und Vieles wird auf einmal sehr wesentlich.
Eigentlich ideale Voraussetzungen für die Verkündigung! Die Botschaft des Glaubens muss wesentlich-einfach sein. Jesus selbst hat einfach gepredigt, und seine wenigen Worte überzeugend zur Tat werden lassen.
Ein zweites wichtiges Schlüsselerlebnis hatte ich als Kaplan in Augsburg: In St. Ulrich und Afra durfte ich viele Russlanddeutsche auf den Empfang ihrer Taufe und Firmung mit vorbereiten. Das Glaubensbekenntnis vermitteln oder den Ablauf der Messe erklären – und das mit einem Grundwortschatz von weniger als 1000 Wörtern… Den Glauben einfach verkünden und dennoch glaubwürdig, das war, ist und bleibt eine wunderbare Herausforderung.
Den Glauben wieder einfach verkünden
In unserer Zeit werden viele Worte gemacht. Es wird viel geredet und auch viel zerredet. Aber wenn es dann um den Glauben geht, fehlen vielen oft die Worte.
Woran das liegt? Wohl daran, dass man nicht mehr viel hört von Jesus. Weil er kaum noch zu Wort kommt! Viele sind heute deshalb sprachlos im Glauben – taubstumme Christen.
Wir müssen unseren Glauben wieder verkünden, Und zwar ganz einfach. Aber das setzt voraus, dass wir zuerst hinhören. Jesus zu Wort kommen lassen. Denn wenn es in den Medien oder am Stammtisch um die Kirche geht, geht es nicht mehr um den Glauben, sondern um Kirchenpolitik, Krisen und Skandale.
Die Schande sind nicht nur Missbrauchspriester, viele Christen, die sich um ihren Glauben nur wenig scheren oder institutionalisierte Verflechtungen, in denen es vor allem um Macht und Besitzstandswahrung geht. Die eigentliche Schande ist, dass es nicht mehr um Jesus geht. Dass er kaum noch vorkommt. Darin sehe ich zugleich auch die Wurzel allen Übels. Käme Jesus mehr vor, würde vieles nicht mehr vorkommen…!
Aber wieviel Christus lebt noch im Christentum? Diese Anfrage ist beileibe nicht nur an die katholische Kirche zu richten! Eine evangelische Kirche in Hamburg wurde gerade in eine Moschee umgewandelt. Das goldene Kreuz hat man vom Kirchturm genommen und einer Freikirche geschenkt. Den Taufstein hat man der muslimischen Gemeinde vermacht. Der steht jetzt natürlich nicht mehr in der Moschee, sondern im begrünten Innenhof. Ein Erinnerungsstück daran, dass es an diesem Ort einmal Christen gab. Hätte man sich vielleicht vorher daran erinnern sollen, dass es an uns Christen ist, Christus verkündigen?!
Auf Jesus hören
Aber reden wir nicht über andere…. Reden wir lieber mit Jesus. Denn eines ist und bleibt doch offensichtlich: für meinen Glauben kommt es zutiefst darauf an, dass ich im Gespräch mit Jesus bin und bleibe. Ob ich auf ihn höre, ob er mich wirklich erreicht. Dazu will er uns die Ohren öffnen – und das Herz. Damit der Mund rede, wovon das Herz voll ist. „Effata!“ – „Öffne Dich für mich!“ Das ist sein ganz persönlicher Wunsch, seine Bitte!
Wie sooft geht es Jesus auch hier nicht um die breite Masse. Es geht ihm wirklich um Dich und um mich. Schauen wir darum noch einmal hin, wie wir Jesus im Evangelium erlebt haben: Die Leute bringen einen Taubstummen zu ihm. Und das erste, was Jesus tut: er nimmt ihn beiseite. Es wird keine Show veranstaltet, es kommt zu einer ganz persönlichen Begegnung. Mit Jesus allein sein, sich von ihm berühren lassen – darauf kommt es jetzt an.
„Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg, legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel; danach blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu dem Taubstummen: Effata!, das heißt: Öffne dich!“
Diese Berührung geht unter die Haut! Seinen Speichel muss man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen. „Sogleich öffneten sich seine Ohren. Die Zunge des Taubstummen wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden.“
Jesus sagt ausdrücklich, dass darüber kein Aufsehen gemacht werden soll. Kein „Hype“! Aber natürlich hat man darüber geredet. Es sind gute Nachrichten, die wir auch brauchen und weitersagen. Jesus freilich legt darauf keinen Wert, es geht ihm wirklich um dich und um mich. Und dass er uns erreicht, jede und jeden von uns, und das ganz persönlich.
Das Evangelium von heute ist topaktuell! Alle Diskussionen über andere, Vigano, McCarick, Kardinäle, den Papst und die Medien bringen nicht weiter! Weder die Kirche, noch den Glauben, noch Sie und mich. „Herr, erwecke deine Kirche, und fang bei mir an!“ Diese Gebetsbitte eines anonymen Christen aus China sollten sich alle Christen zu eigen machen. Mit ihm, Jesus Christus, müssen wir immer wieder anfangen und er mit uns. Das Wort Jesu, das mich wirklich erreicht, das ich lebe und dann auch bezeuge, bringt es „meine“ Kirche weiter, näher hin zu ihm, denn meine Kirche ist seine Kirche. Vielleicht sollten wir alle ein wenig wie Don Camillo sein, der es verstanden hat, ganz einfach mit Jesus im Gespräch zu sein, auf Du und Du.
Übrigens: im Oktober werden wir in unserer Pfarreiengemeinschaft eine Abendreihe starten. Thema: „O Ton Jesus.“ Wir werden an sechs Abenden hören, was Jesus gesagt hat. Und wir werden staunen, wie wenig Worte er doch macht. Aber umso mehr bewirkt, vorausgesetzt, wir sind offen für ihn. „Effata!“