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Die Gnade der späten Geburt!

Die Gnade der späten Geburt!
Gedanken zum Palmsonntag

Die Gnade der späten Geburt – sie gibt es wirklich! Wir erleben sie alle Jahre wieder: in dieser Woche! Denn die Karwoche begehen wir nicht vor Ostern. Sondern knapp 2000 Jahre nach Ostern. Das macht schon einen entscheidenden Unterschied. Denn das war nicht immer so. Ja, es gab auch eine Karwoche vor Ostern. Und die haben die Menschen anders, ganz anders erlebt. Heute wissen wir, wie alles am Ende ausgegangen ist. Wir erwarten Ostern. Davon konnte aber zunächst einmal überhaupt keine Rede sein. Damals in Jerusalem, wo sich alles so dramatisch ereignet hat…

Eigentlich hätten sie es doch ahnen können. Wenn, ja wenn sie Jesus zugehört hätten. Hatte er nicht selbst gesagt, worum es ihm ging: „Der Größte unter euch soll der Diener aller sein“ (Mt 23 ,11). Das war sein Karriereziel. Und hat er nicht klar gesagt, wen er berufen will: „Wer mein Jünger sein will, der nehme sein Kreuz auf sich, so folge er mir nach!“ Sein unbedingter Gewaltverzicht führt zu ganz neuen Konfliktstrategien: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt´ ihm auch die andere hin“ (Mt 5,40). Und hat er nicht auch dreimal klar und deutlich angekündigt, was am Ende kommen wird? „Der Menschensohn wird in die Hände der Menschen ausgeliefert und sie werden ihn töten. Doch wenn er getötet ist, wird er nach drei Tagen auferstehen“ (Mk 9,31).

Offenbar hatte man Jesus nicht richtig zugehört und darum nicht verstanden, wer er war und worum es ihm eigentlich ging. Hat sich da viel geändert in den letzten 2000 Jahren? Jeder hatte so seine Vorstellungen von dem Messias, der in die Welt kommen sollte. Aber Jesus wollte diesen Vorstellungen nicht entsprochen.

Am Palmsonntag erleben wir das in besonderer Deutlichkeit. Auf einem Fohlen, einem königlichen Reittier, zieht Jesus ein. Eine klare Ansage. Denn dieses Reittier war nicht Ausdruck der Bescheidenheit, sondern als königliches Reittier ein Anspruch. Die Menschen haben das verstanden und jubeln Jesus zu. Aber sie haben ihn auch wieder nicht verstanden. Denn sie erwarteten einen Messias, der der Macht der Römer endlich ein Ende setzen würde. Jesus wird diese Erwartungen nicht erfüllen. Wie er aus dem Tempel auszieht, erfahren wir mit keinem Wort. Von Jubel ist da keine Rede mehr. Und spätestens jetzt wird Judas wohl seinen Beschluss gefasst haben, Jesus zu verraten. Dem Römer Pontius Pilatus wird Jesus schon bald erklären: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“ (Joh 18,36). Es geht Jesus nicht um irdische Macht, sondern um das Reich Gottes. Pontius Pilatus mag darüber nachgedacht haben. Verstanden aber hat auch er nicht. Und die Dinge nehmen ihren Lauf.

Die Tage der Karwoche können uns helfen zu einem tieferen Verständnis, worum es Jesus eigentlich geht –auch heute. Wenn wir wirklich versuchen, uns auf Jesus einzulassen. Als Christen müssen wir uns orientieren an Christus. Wir haben kein anderes Vorbild als ihn. Er ist das Maß aller Dinge.

Am Gründonnerstag geht Jesus vor seinen Jüngern auf die Knie. Was für ein Zeichen. Menschen treten die Würde von Menschen oft genug mit Füßen. Jesus hat Menschen die Füße gewaschen – auch dem Judas. Da lädt einer ein umzudenken. Seien wir aufgeschlossen für diese neue Sichtweise!

Auch die Eucharistie hat im Abendmahlsaal ihren Ursprung. An keinem Ort kommt Jesus den Seinen so nahe. Für uns heute die Gelegenheit, uns neuerlich zu verinnerlichen: Auf Äußerlichkeit hat Jesus keinen Wert gelegt. Es geht ihm immer um unser Herz. Darum sagt er auch uns:  „Liebt einander! So wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34). Und: „Es gibt keine größere Hingabe,  als wenn einer sein Leben hingibt.“ (Joh 15,13).

Das hat er getan. Freiwillig ist er am Karfreitag seinen Leidensweg gegangen. Jesus wusste warum. So ist sein Kreuz nicht Zeichen sinnloser Gewalt, sondern eines unbedingten Willens zu Vergebung und Frieden. Er hätte sich wehren können – aber er hat es nicht getan. Weil es so viele andere gibt, die auch hilf- und wehrlos sind. Und weil er gegen Gegengewalt ist mit einem unbedingten Willen zum Frieden. „Frieden hinterlasse ich euch. Meinen Frieden gebe ich euch“  (Joh 14,27). Auch dieses Angebot stammt von ihm. Es gibt keinen Weg zum Frieden; der Friede ist der Weg. Darum begegnen wir ihm am Kreuzweg ganz ohne Gegenwehr. Aber mit umso aufmerksamerer Liebe. Bis zu den letzten Worten am Kreuz. Dort ist er dann nach sechs Stunden qualvoll erstickt – gestorben. Und dann auferstanden?

Leicht wird übergangen, dass Jesus zunächst hinabgestiegen ist in das Reich des Todes. Das Grab – die Realität des Todes und der Trauer dürfen wir nicht übersehen. Glücklich, wer der Trauer noch Zeit gibt. Der Karsamstag ist ein Platzhalter für die Trauer, für diesen Ausdruck einer Liebe, die über den Tod hinausgeht.

Ostern gibt uns dann endlich die Hoffnung auf Leben. „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten“ (Lk 24,5). Was für eine befreiende Botschaft! Sonnenaufgang im Friedhof! Im Osterfeuer werden die Grabkreuze endgültig verbrannt werden. Trauer darf sein – aber am Ende doch nicht ohne Hoffnung auf ein Wiedersehen. Und die ersten Osterzeugen, sie haben ihn alle wiedergesehen. Nicht mehr als den Altbekannten – sondern als den Auferstandenen, als den verklärten Herrn. Und dann sind sie alle in Bewegung…!

Nicht nur der Ostermontag ist so ein bewegender Tag, der einlädt zum Emmausgang. Unser Glaube will uns in Bewegung bringen. Das bekommen wir zu spüren in der Heiligen Woche, wenn wir uns bewegen und sie begehen. Und nur, wenn uns die kommenden Tage wirklich bewegen, kann Er uns begegnen.

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