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So richtig satt und sitt?

So richtig satt und sitt?
Gedanken zum 3. Fastensonntag (Joh 4, 5-42)

Wir kennen das Gefühl. Wir haben gut gegessen und sind satt. Aber was ist, wenn wir genug getrunken haben? Dafür hat es bis vor wenigen Jahren im Deutschen noch gar keinen Ausdruck gegeben. Aber dann hat man ihn ganz einfach erfunden und: man kann ihn sich gut merken, denn er lautet schlicht und ergreifen nur: „sitt“. Wer keinen Hunger mehr hat und keinen Durst ist also „satt und sitt“. Aber was macht mich eigentlich so richtig satt, was macht mich so richtig sitt?

„Ich hab´ Hunger, ich hab´ Durst…!“ Wenn man mit Kindern unterwegs ist, wird man eines ganz schnell lernen: Störungen haben Vorrang. Da muss schnell was zum Essen und zum Trinken her, sonst geht nichts weiter. Aber was, wenn ein ganzes Volk Hunger und Durst hat?

Ich hab Hunger! Ich hab Durst!
Eine Frage aus aktuellem Anlass. Wir begehen die Fastenzeit und Fastenzeit ist Wüstenzeit. Immer wieder schicken uns die Lesungen der Liturgie in die Wüste. Dort begegnen wir dem Volk Israel. Kurz nach dem Auszug aus Ägypten – jetzt in der Wüste… In Ägypten waren sie unfrei, das ist wahr. Aber die Fleischtöpfe waren voll und sie waren satt. Und jetzt? Zwar sind sie auf dem Weg aus der Sklaverei in die neue Freiheit, aber dafür haben sie jetzt Hunger und Durst. Hunger lehrt beten, sagt man. Aber das auserwählte Volk betet nicht – es murrt!
Gott meint es immer wieder gut mit seinem Volk. Schließlich hat er sich doch selbst auserwählt. Und Gott ist ein guter Pädagoge. Er nimmt sein Volk, das gerade frei laufen gelernt hat, an der Hand. Immer wieder will er ihm aufhelfen, das kleine Volk „aufpäppeln“. Ja, er gibt ihm Speise und Trank zur rechten Zeit. Die Wachteln, das Manna in der Wüste, das Wasser aus dem Felsen sind Zeichen dieser leibhaftigen Fürsorge Gottes (vgl. Dtn 16, 6- 17,7).
Recht hat er! Es muss dem Menschen schon auch leibhaftig gut gehen. Von einem leeren Teller kann man nicht runterbeißen. Und ein leeres Glas kann man nicht auswinden.
Erzbischof Josef Bischof Stimpfle hat jungen Priesteramtskandidaten immer wieder den guten Rat mitgegeben: Das Wichtigstes für das geistliche Leben ist ausreichend Schlaf, danach kommt eine gesunde Ernährung und dann das Gebet.
Wie viele Kinder gehen morgens ohne Frühstück in die Schule. Da kann man noch so viel motivieren, wenn der Magen knurrt… Leib und Seele gehören schon zusammen. Für beides gilt es Sorge zu tragen.
Das können wir bei Jesus miterleben in seiner wunderbaren Speisung der Tausenden. Offenbar will er die Menschen, die ihm so lange zugehört haben, nicht hungrig zurück lassen. Die Jünger muss er dafür noch gewinnen. Aber es gelingt ihm. Sie sind bereit, das Wenige, das sie haben, zu teilen: das ist viel Segen drauf!
Und im Evangelium des 3. Fastensonntags begegnen wir Jesus am Jakobsbrunnen (vgl. Joh 4,1-42). Diesmal ist er selbst ganz einfach müde und er hat Durst. Jesus bittet um einen Schluck Wasser, nur zu verständlich.
Aber dann, wenn der Mensch satt ist und er genug gegessen und getrunken hat, was dann? Noch größere Teller? Noch tiefer hineinschauen ins Glas?
Die Verlockung war schon immer ist groß – nicht nur in der Wüste, das süße Manna, die Wachteln und das kühle Nass. Und auch die Tausende, die Jesus auf wundersame Weise gespeist habt, wollen am Ende nur noch eins: immer dieses Brot! Die Versuchung ist groß, dass man mehr und immer mehr will. Alles, was auf den Teller draufpasst, alles was reingeht. „All you can eat!“

Satt sein ist doch nicht alles!
Und dann, wenn man satt und satter ist, wenn man trinkt und sitt und sitter wird? Man kann mit vollem Bauch verhungern – und vor vollen Krügen verdursten: in seiner Seele. Gibt es vielleicht noch einen anderen Hunger, einen tieferen Durst? Ja, aber dafür müssen wir über den Tellerrand schauen und nicht zu tief hinein ins Glas.
Diese Erfahrung macht das Volk Israel. Denn immer wieder murrend,   aber doch langsam und sicher bringt Gott sein Volk doch durch, hin bis zum Gottesberg Horeb. Dort stellen sie fest: Ja es gibt mehr. Gott gibt mehr! Die Gebote, die Thora, das Gesetz Mose! Es wird ihnen das Teuerste werden, das Allerheiligste, das sie fortan in ihrer Mitte führen. Was für ein wertvoller Schatz!
Und auch Jesus wird den Menschen mehr geben, weil sie mehr brauchen als Brot, das doch wieder verdirbt, und Wasser, das doch wieder Durst macht. Freilich muss man da schon bei ihm bleiben, ihm zuhören, wie die Frau am Jakobsbrunnen. „Wer von diesem Wasser trinkt, der wird wieder Durst bekommen…. wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird nie mehr Durst haben.“ Vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt. Geht es vielleicht darum? Um diese Sehnsucht nach der inneren Quelle ewigen Lebens! Und diesen Hunger gibt es und diesen Durst, dieses Verlangen nach mehr ist eine tiefe Sehnsucht der Seele. Ja unsere Seele hat Hunger und Durst. Glaubst du das?

Hunger und Durst nach mehr!
„Stop, was glaubst du eigentlich?“ In einer Pfarrei haben wir diese Frage einmal gestellt. Nicht in der Kirche. Da sind die Antworten ja irgendwie vorhersehbar… Nein, mitten in der Fußgängerzone, Leuten beim Einkaufen… Wir haben gefragt und viele Antworten bekommen. Aber auch ernsthafte Fragen, die eines erkennen lassen: viele Menschen sind auf der Suche. In der Fußgängerzone sind Menschen stehen geblieben, zwischen Geschäften und Café sind sie stehen geblieben und haben Fragen gestellt und Antworten gegeben und tiefe Einblicke in ihren Glauben. Weil sie spüren, da gibt es mehr als Konsum und Kommerz. Und es muss mehr geben. Denn, wie hat es Antoine de Saint-Exupéry einmal auf den Punkt gebracht: „Man kann doch auf Dauer nicht leben von Produzieren und Konsumieren, von Bilanzen, Kühlschränken und Kreuzworträtseln. Es gibt nur ein Problem auf der ganzen Welt: den Menschen eine Sinndeutung ihres Daseins, Sehnsucht und Hoffnung zu geben.“
Es muss mehr geben. Ja es ist Hunger da und Durst tief drin in der Seele des Menschen. Hunger nach Sinn. Die Seele lässt sich nicht so gern betäuben und so einfach abspeisen. Sie will mehr. Sie will Sinn, sie verlangt nach Wahrheit, sie braucht Werte und sie sucht das Glück. Sie spürt innerlich ganz genau: es gibt mehr!  Er gibt mehr! Ohne Gott gibt es auf die Frage nach der Wahrheit keine letzten Antworten. Nach dem Woher, dem Wohin und dem Wozu.
Für diese Fragen ist die Fastenzeit wie geschaffen. Es geht ja nicht wirklich ums Kalorienzählen; ein bisschen weniger Schokolade für ein bisschen weniger um die Hüfte… In der Fastenzeit geht es um mehr. Warum hat Jesus denn gefastet? Was hat ihn eigentlich die 40 Tage hinausgetrieben in die Wüste? Eines dürfte wohl klar sein: Jesus wollte sich Klarheit verschaffen, sich seiner Sendung vergewissern. Und am Ende wurde er unglaublich gestärkt. Geht es darum auch uns?
Der Heilige Johannes Chrysostomus hat einmal geradezu verlockend angepriesen: „Das Fasten ist die Speise der Seele. Wie die körperliche Speise stärkt, so macht das Fasten die Seele kräftiger und verschafft ihr bewegliche Flügel, hebt sie empor und lässt sie über himmlische Dinge nachdenken.“
Das ist der wahre Mehrwert des scheinbar Weniger: Dass wir unseren Glauben stärken, unser Vertrauen festigen und neu erspüren, woraus wir eigentlich leben, wohin wir eigentlich wollen und was uns eigentlich heilig ist und wertvoll.
Gewiss, es gibt Menschen, die sagen: „Ich kann mit dem Glauben nichts anfangen“. Aber was können wir eigentlich ohne Glauben anfangen? Ohne Gott? Gottlos? Herzlich wenig!
Ein Leben aus dem Glauben bietet mehr: Glaube macht Sinn, er vermittelt Werte; ein Leben aus dem Glauben ist im besten Sinn des Wortes: wert-voll. Eine Wertediskussion ohne Gott bleibt letztlich unverbindlich.
Das hat selbst Gregor Gysi bestätigt, der sich selbst als nicht-gläubig bezeichnet. Er sagt, dass in unserer Zeit allein die Religionen die Kraft haben „grundlegende Moral- und Wertvorstellungen allgemeinverbindlich in der Gesellschaft zu prägen.“
Und am Ende dann auch Sinn und Lebensglück vermitteln… Denn „Reinschauen, einkaufen, glücklich sein“ taugt allenfalls als Werbeslogan für ein Einkaufszentrum und muss am Ende alle enttäuschen, die sich vom Leben mehr erwarten und erhoffen. Spätestens dann, wenn Unglücke hereinbrechen, wissen wir, dass es in unserer so zerbrechlichen Welt nicht der Mensch alleine schafft. Nein der Mensch ist nicht der Glücksbringer. Glücksbringer ist vielmehr Gott: „Mein ganzes Glück bist du allein.“ Was für ein wunderbarer Gebetsgedanke aus Palm 16!
Aber auch Gott hat Durst. Bis zum letzten Atemzug. In Jesus dürstet es Gott unendlich nach dem Menschen. „Mich dürstet!“ (Joh 19,28) Diesen letzten Worten Jesu am Kreuz schenke ich meinen Glauben. Und gibt es darauf eine schönere Antwort, als die des Psalmisten: „Meine Seele dürstet nach Dir mein Gott“ (Ps 63,2)!

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