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Talent zum Gewissen

Talent zum Gewissen
Gedanken zum Volkstrauertag (Mt 25, 14-30)

“Nichts Neues unter der Sonne!“, könnte man meinen, wenn man sich die Welt so anschaut. Gewiss, in Deutschland, in Europa erfreuen uns 75 Jahre des Friedens. Viel ist inzwischen friedlich zusammengewachsen. Und an so etwas wie „Krieg“ können sich hierzulande immer weniger erinnern. Dafür dürfen wir dankbar sein. Aber selbstverständlich werden darf uns der Friede nie.

Denn es bleibt ja noch ganz viel Welt übrig. Und da schaut´s oft ganz anders aus. Vom Weltfrieden sind wir jedenfalls noch weit entfernt – angesichts der aktuell 150 Kriege und militärischen Auseinandersetzungen. Wenn man sich die Weltgeschichte so anschaut, bekommt man den Eindruck, die Gründe dafür waren und sind immer die gleichen: Es gibt Menschen, die wollen mit allen Mitteln an die Macht. Und wenn sie dann Macht haben, wird sie oftmals missbraucht. Nicht von ungefähr warnt Jesus ausdrücklich: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Macht über die Menschen missbrauchen“ (Mk 10, 42).

Machthaber wollen in der Regel immer noch mehr Macht haben. Oder zumindest ihre Macht erhalten. Koste es, was es wolle. Oft genug gehen sie dabei über Leichen. Und doch waren alle Machthaber am Ende ihre Macht los. Das ist auch denen zu prophezeien, die heute ungerecht an der Macht sind…

Aber an welcher Macht scheitern diese Machthaber? Am Freiheitswillen des Menschen und kraft seines Gewissens. Der größte Feind der Machthaber ist und bleibt das Gewissen des Menschen, das man auf Dauer nicht unterdrücken kann. Ob es die mutigen Hitlerattentäter waren oder die Mitglieder der Weißen Rose; christliche Märtyrer, die es nicht nur im III. Reich gab. Ob es die friedliche Revolution in der Herzmitte Europas war, die den eisernen Vorhang zu Fall brachte. Oder ganz aktuell die Proteste der Richter und Medienschaffenden in der Türkei oder Hunderttausende, die sich mutig erheben in Belarus. Irgendwie kommt es am Ende immer zum „show down“. Und glücklicherweise hat das Gewissen bislang immer die Oberhand behalten. Und Machthaber jedenfalls waren am Ende ihre Macht wieder los.

Und es waren dann auch immer Menschen, die ein Gewissen hatten und innere Werte, die das Land wieder aufgebaut und ein friedliches Miteinander ermöglicht haben. Unser Heimatland wurde nach dem II. Weltkrieg sehr gewissenhaft auf dem Fundament christlicher Werte wieder aufgebaut. In unserem Grundgesetz schließt sich die Unantastbarkeit des Gewissens aus gutem Grund unmittelbar an die Unantastbarkeit der Würde des Menschen an.

Das Evangelium des heutigen Sonntags erklärt sehr gut, was es dazu braucht: Denn da ist von Talenten die Rede. Das ist auf´s erste gesehen eine Unmenge von Geld – ein Vermögen. Kann man dieses Talent vergraben? Das sollte man durchaus tun. Und es war auch gängige Praxis. Wenn man einen Schatz vergraben hatte, konnte ihn schließlich keiner finden. Man war auf der sicheren Seite und von aller Haftungspflicht befreit.

Aber es geht ja bei dem Gleichnis nicht um Reichtum, nicht um Geld. Es geht um mehr. Es geht um den Himmel. Und wir wie es sich mit dem Himmelreich verhält. So gesehen ist die Idee mit dem Vergraben nicht besonders sinnvoll. Und darum kauft an anderer Stelle einer ja auch mal alles was er hat und kauft einen ganzen Acker, um den Schatz, eben den Himmel, zu gewinnen. Aber, wie gesagt, es geht Jesus –wie immer- nicht um finanzielle Mittel. Sondern um die Mittel, die Gott uns als Mitgift fürs Leben anvertraut hat. Und ein Talent hat jeder: Jeder hat ein Gewissen. Das Gewissen ist ein inneres Wissen, das uns alle verbindet. Ein Wissen darum, was gut und was böse ist.

Und wir verstehen, warum einzig der getadelt wird, der das Talent vergraben hat. Ein Talent vergräbt man nicht. Das gilt vor allem für das Gewissen. Das Gewissen ist ein gutes „Navi“ für ein sicheres gelingendes Zusammenleben und damit ganz im Sinne Gottes. Und doch kommt es immer wieder vor, dass Menschen ihr Gewissen vergraben. Warum? Auch das haben wir im Evangelium erfahren: Aus Angst! Menschen halten sich bedeckt, äußern sich nicht, begehren nicht auf. So werden Menschen zu Mitläufern – und Mittätern.

Natürlich erfordert es zu allen Zeiten Mut, nach seinem Gewissen zu handeln, für sein Gewissen einzutreten. Vor allem dann, wenn man gegen den Strom schwimmt. Oder Machthabern ins Gewissen reden muss. Und doch hat es –Gott sei Dank!- zu allen Zeiten Menschen gegeben, die diesen Mut hatten! Das Gewissen macht Mut zur Wahrheit! Und die Wahrheit macht frei. Genau darum fürchten sich die Machthaber auch so sehr vor dem Gewissen der anderen.

Gewissenstäter, die ihr Talent nicht vergraben haben, waren im III. Reich vor allem auch mutige Christen wie Hans und Sophie Scholl und alle anderen, die im Zeichen der Weißen Rose Widerstand geleistet haben. Sie sind ihrem Gewissen gefolgt und sind eingetreten für die Wahrheit und Freiheit. Koste es, was es wolle: Die Wahrheit macht frei. Auf dem Weg zum Schafott sind ihre letzten Worte überliefert. Sie offenbaren eine untrügliche Hoffnung, die zuletzt eben doch nicht stirbt. Von Sophie Scholl hören wir als letzte Worte: „Die Sonne scheint noch.“ Und von ihrem Bruder Hans: „Es lebe die Freiheit!“

Das Gewissen des Menschen ist ein Talent, mit dem wir wuchern müssen. Gerade in Friedenszeiten. Leben wir gewissenhaft. Denn den Frieden sichern wir allein im Frieden. Und der Friede beginnt immer in uns. Eben genau fort, wo auch die Stimme unseres Gewissens zu vernehmen ist. Wie hat es schon im Mittelalter der Augustiner-Chorherr Thomas von Kempen auf den Punkt gebracht: „Bewahre du zuerst Frieden in dir selbst, dann kannst du auch andern Frieden bringen.“ Wer sich nicht gewissenhaft für den Frieden einsetzt, hat die Hand schon an der Schaufel, ihn wieder zu begraben.

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