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„Wähle das Leben“ – Gedanken zu Dtn 30, 11-19

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Ökumenisches Bibelseminar Meitingen
„Wähle das Leben“ – Gedanken zu Dtn 30, 11-19

Recht und Gesetz
„Wähle das Leben!“ Eine durchaus ansprechende Überschrift für ein Bibelgespräch. Welche Bibelstelle würde man dazu wohl erwarten? Wir wissen es: Ausführungen zu Recht und Gesetz. Das klingt auf´s erste nicht gerade verlockend und lebensfroh. Lebensfreude verbinden wir mit etwas anderem.

Gewiss, an Gesetze und Gebote, an Recht und Ordnung muss man sich halten. Und man weiß hoffentlich auch, warum. Aber vor allem schreiben Gebote was vor und Gesetze schränken ein. Sei´s drum, man muss sie befolgen, sonst drohen Konsequenzen, denn ein Gericht gibt´s ja auch noch. Aber genau darum geht es – um ein Leben nach Gesetz und Geboten. Schauen wir uns an, was Gesetz und Gebote brauchen.

Zunächst braucht es einen Gesetzgeber, der Gebote erlassen kann. Der sollte rechtmäßig sein und anerkannt. Schließlich sollte ein breiter Konsens bestehen, dass der Inhalt der Gesetze auch vermittelbar ist, einsehbar, sinnvoll und gut. Ein Gesetz und seine Gebote müssen dienlich sein.

Gesetze ordnen und entlasten schließlich auch. Sie nehmen uns oft die Last ab, Dinge selbst entscheiden zu müssen, alles untereinander selbst zu regeln. Gesetzliche Ordnung gibt somit Halt, schafft Rechtssicherheit. Und garantiert am Ende nicht nur die eigene Freiheit, sondern auch die der anderen.

Im Verkehr wird das sichtbar. Ohne Gesetze, Wegweiser und Schilder würde nicht alles mehr oder weniger geordnet ablaufen. Und vor allem müssten wir selbst uns mehr Gedanken machen. In aller Regel sind die Verkehrsregeln sehr sinnvoll – auch wenn es der Schilder zu viele gibt.

Gottes Gesetzes-Gabe
„Heute“ wird in  Dtn 30 dem Volk aus der Hand Mose ein Gesetz angeboten. Aber wer ist hier der Gesetzgeber? Nicht das Volk, wie in einem demokratisch gewählten Parlament. Unser Glaube ist keine Demokratie, in der alle Gewalt vom Volk ausgeht. Sondern im besten Sinn des Wortes eine „Hierarchie“, die sich auf einen heiligen Ursprung beruft. Gott ist der Gesetzgeber. Damit ist das Gesetz seine Gabe, eine Gottesgabe. Eine Gabe lässt immer zurückschließen auf den Geber. Geber und Gabe gehören innerlich zusammen.

Es findet eine Übergabe statt. Zumindest wird sie von Gott, dem Gesetzgeber, angeboten, und zwar bewusst seinem auserwählten Volk. Das geschieht nicht einfach so. Es braucht zuvor Vertrauen. Ein Zutrauen auf Seiten Gottes. Er muss es seinem Volk zutrauen, dass sie dem Gesetz und seinen Geboten gewachsen sind. Und es braucht Vertrauen auf Seiten des Volkes, dass das Gesetz auch gut gemeint ist und hilfreich. Erst dann kann aus der Gabe eine Aufgabe werden. Und das Gesetz wird befolgt.

Wie sieht das Gesetz nun aus? Gleich zu Beginn wird etwas Wichtiges vorausgeschickt: Die Gabe des Gesetzes ist nicht schwer erreichbar. Es handelt sich also nicht um ein kompliziertes Regelwerk. Damit haben ja viele heutzutage ihre Probleme. Viele Gesetze und Regelungen, die staatlicherseits erlassen werden, sind schwer verständlich. Man blickt kaum noch durch. Spricht von Paragraphendschungel und sträubt sich innerlich dagegen. Man folgt Gesetzen, weil man dazu gezwungen ist.

Ganz anders das Gesetz, das JAHWE seinem auserwählten Volk anbietet. „Es liegt nahe“, ist also für alle einsichtig, die guten Willens sind. Es ist dem Gesetzgeber offenbar wichtig, dass der Sinn des Gesetzes einleuchtet. Das Volk, der Einzelne, soll einwilligen können, ja noch mehr: es verinnerlichen. Nur so kann das Gesetz samt seiner Gebote ja auch mit Herz und Verstand befolgt werden.

Genau darum geht es Gott: „Wenn ihr den Herrn liebt und seinen Geboten folgt…“ – ebenso gut könnte man sagen: „Weil  ihr Gott liebt, folgt ihr seinen Geboten.“ Dann ist das Gesetz „auf euren Lippen und in eurem Herzen“. Das Herz ist dabei -wie immer im AT- der Ort des wahren Erkennens. Die innerste und lebendige Mitte des Menschen. Denn das Gesetz ist im Herzen verständlich. Und damit einsehbar für alle. Und es kann auch weitergegeben werden. Eben nicht schriftlich in komplizierten Gesetzestexten, sondern mündlich in einfachen Worten, die über die Lippen kommen, weil das Herz davon voll ist. Das Gesetz konnte man gut auswendig lernen. Französisch heißt „auswendig können“„connaitre par coeur“ – von Herzen verstehen.

Ihr habt die Wahl
Worum es dann allein noch geht, wird unmissverständlich gesagt: „Ihr müsst es nur befolgen!“ Dieses „Müssen“ ist kein äußerer Zwang. Sondern eine logische Notwendigkeit. Logisch, ganz einfach deshalb, weil Gott seinem Volk die Freiheit geschenkt hat. Und diese Freiheit gilt es auch in Zukunft zu sichern. Dem dient das Gesetz.

Die 10 Gebote sprechen eine Einladung aus: Denn sie verbieten ja nicht, sondern sichern und ermöglichen die Freiheit: die Freiheit des Einzelnen wie die des ganzen Volkes. „Du sollst nicht“ übersetzen wir besser mit: „Du wirst doch nicht etwa…“ Gott beeinflusst nicht die Entscheidung. Er lädt vielmehr ein zu bedenken: Wählt das Leben, damit ihr am Leben bestehen könnt und bleibt; ihr und eure Nachkommen.

Darum geht es: dass Leben und Zusammenleben gut gelingen kann. Somit sind die Gebote von Gott her verstanden ein Schlüssel zu einem gelingenden, glückenden Leben. Das zeigt dann auch, was den Taten folgt: „Wenn ihr die Gebote des Herrn, eures Gottes, befolgt, die ich euch heute verkündet habe, wenn ihr den Herrn liebt und seinen Weisungen folgt, seine Anordnungen, Gebote und Rechtsbestimmungen genau beachtet, werdet ihr am Leben bleiben und immer zahlreicher werden.“ Zahlreiche Nachkommen gehörten übrigens zum höchsten Lebensglück eines Menschen, Leben weiter zu schenken und gesegnet zu sein in vielen Kindern. Aber auch für das auserwählte -jedoch vergleichsweise- kleine Volk Israel war Kindersegen überlebenswichtig angesichts der erdrückenden Überlegenheit seiner Feinde.

Umgekehrt wird durch Mose auch vorausgesagt, was geschieht, wenn dem Gesetz nicht Folge geleistet wird. Darum kann keiner behaupten, er habe es nicht gewusst. Gesetze brauchen schließlich auch Sanktionen, damit sie gehalten werden.

Der Mensch, der sich nicht an das Gesetz Gottes hält, bestraft sich letztlich selbst. Es gilt: Entweder – oder. Und es bleibt dabei: Das Gesetz will befolgt werden. Nicht aus Zwang und auch nicht aus blindem Gehorsam. Sondern aus Liebe zu Gott. Davon hängt alles ab. Leben und Tod. Glück und Unglück. Ihr, mein Volk, habt die Wahl.

Wenn Ihr meinen Willen tut, und damit das, was auch euch gut tut, wird es euch gut gehen. Dieser Tun-Ergebnis-Zusammenhang bestimmt im Alten Testament immer und immer wieder das moralische Verhalten. Die Folgen des Tuns sind von vornherein klar. Damit besteht für alle eine Rechtssicherheit, die Gott klar macht und zugleich garantiert. Hier zeigt sich die unbestechliche Gerechtigkeit Gottes. Auf die sich der Mensch und das Volk verlassen können. Ohne Unterschied. Bei Gott gibt es keine Korruption.

Und die Entscheidung ist immer aktuell, sie ereignet sich stets  im Heute. „Das Gesetz, das ich euch heute gebe…“ ist nie etwas, worauf man sich berufen könnte, ohne es zugleich zu beachten. Das ist und bleibt wichtig bis zu uns. Die Gebote Gottes sind nie von gestern, sondern immer für heute und damit zeitlos aktuell.

Die Erfahrungen sprechen für sich
Die kollektive Erfahrung des Volkes Israel gibt alledem recht: Wann immer das auserwählte Volk Gott die Gefolgschaft verweigert hat, obwohl der es doch in die Freiheit geführt hat, wann immer es sich fremden Göttern zugewandt und von seinem Gott abwendet hatte, ist es in Unfreiheit zurückgefallen und hat Schaden genommen. Auch dafür sind Himmel und Erde Zeugen. Niemand kann sagen, wir haben es nicht schon zuvor gewusst.

Freilich muss man dafür auch ein gutes Gedächtnis haben. Denn die Befreiung aus der Gefangenschaft haben die Eltern- und Großelterngeneration erlebt. Nur noch wenige konnten sich daran erinnern, aber Mose hilft dabei. Und es wird deutlich, gerade im Blick zurück, dass Gott seinem Volk unablässig die Treue gehalten hat. Gott steht zu seinem Wort. Auf ihn ist unbedingt Verlass.

Umgekehrt hat sich das Volk immer wieder gegen Gott aufgelehnt, gemurrt, von ihm abgewendet. Auch hier sind die Folgen nie ausgeblieben. Es liegt also schon eine erprobte Erfahrung hinter Gott und seinem Volk. Aus der Vergangenheit kann man eines lernen: Gott ist treu gewesen. Sein Volk nicht immer…

All das bestimmt die Entscheidung, die Gott seinem Volk „heute“ vorlegt. Die Wahl liegt beim Menschen. „Ich stelle euch heute vor die Wahl!“„Wählt das Leben, damit ihr am Leben bleibt, ihr und eure Nachkommen!“

Vertrauen in die Zukunft!
Auf was sich das Volk verlassen kann? Auf seinen Gott! Gott war und ist da. Der Name wird im Lauf der Geschichte für das auserwählte Volk immer wieder erfahrbar: „Jahwe!“ – „Ich bin, der ich bin“. Diese Zusage verspricht nicht weniger als alles! Gott ist das Dasein schlechthin. Ohne ihn ist nichts, was geworden ist. Aus dem Dasein kann der Mensch auch nicht fallen. Wohin sollte er auch?

Diese Erfahrung wird das Volk immer wieder machen. Vor allem im babylonischen Exil. Es sind schwere Jahre, die zum Nachdenken zwingen. Und dabei zweierlei offenlegen: Ja, es hat Folgen, wenn man Gottes Geboten nicht folgt. Was also nicht passieren sollte, aber geschehen ist: Man hat sich an das Gesetz nicht gehalten, ja nicht einmal an den Gesetzgeber. Man hat fremden Göttern gedient und ist erneut in fremde Abhängigkeit geraten. Der Baalskult hat dies auf die Spitze getrieben. Die babylonische Gefangenschaft war die Folge. Aber auch eine Zeit der Rückbesinnung.

Aber Gott kann sich und seiner Liebe zu seinem Volk nicht untreu werden. Wenn, ja wenn sich das Volk wieder aus ganzem Herzen zu ihm bekehrt. Gerade das ist in der Zeit des Exils auch geschehen. Viel an Frömmigkeit, die für die Juden bestimmend bleiben wird, etwa das Gebet, der Wortgottesdienst, verdanken sich dieser Zeit. Ein heiliger Rest, der sich neu formiert hat, orientiert an Gott und seinen Geboten, darf am Ende zurückkehren. Nach einer leidgeprüften und doch heilsamen Zeit.

Aber es ergab im Laufe der Geschichte auch noch ein anderes Problem. Man verstellt die Gesetze. Ein buchstäblicher Schilderwald bestehend aus 613 Einzelgeboten wurde drum herum  aufgestellt. Das Gesetz, das eigentlich die Freiheit des Lebens sichern sollte, wurde immer mehr zu einer Last. Gesetze ermöglichen nicht immer weniger ein Leben in Freiheit und Glück, sondern engen zusehends ein und behindern letztlich. Hier wird die Befreiungstat Jesu nötig. Er befreit dazu, nicht mehr allein nur das Gesetz anzunehmen, sondern vielmehr seine Gnade!

Jesus und die Gesetzeslehrer
Immer wieder kommt es zu harten Auseinandersetzungen mit den Pharisäern und Gesetzeslehrern. Sein Hauptkritikpunkt: Menschen werden unnötig schwere Lasten auferlegt. Aber das Gesetz und die Gebote sind für den Menschen da – nicht umgekehrt. Darum sagt er: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zutragen habt, ich will euch erquicken“ (Mt 11, 28). Eine lebensspendende Einladung!

Aber, dass wir Jesus nicht falsch verstehen: er selbst befolgt das Gesetz und seine Gebote. Sondern er erfüllt es, so wie es eigentlich von Gott her immer verstanden wurde: in Liebe. Nicht das kleinste Buchstabe des Gesetzes, kein Jota, wird vergehen (vgl. Mt 5,17-18).

Das macht Jesus so glaubwürdig: seine Gesetzeskritik ist zutiefst Gesetzestreue. Es ist seine Speise, den Willen des Vaters zu tun (vgl. Joh 4, 34). Der sich im Alten Bund ausgesprochen hat, in seinem Gesetz und seinen Geboten.

Damit gibt uns Jesus wieder einmal seinen universalen Interpretationsschlüssel an die Hand: seine Liebe. Das im Doppelgebot der Liebe sich einmalig verdichtet (vgl. Mt 22, 37-40). Und vom Heiligen Augustinus so großartig verstanden wird, wenn er sagt: „Ama et fac, quod vis. – Liebe und dann tu, was du willst!“ Dabei freilich wollen und können die Gebote Gottes bis heute wirklich helfen.

Ps 119 – Ein Loblied auf die Gebote des Herrn 119,1–12. 171-173
Selig, deren Weg ohne Makel ist, / die wandeln im Gesetz des Herrn. Selig, die seinen Weisungen folgen, / die von ganzem Herzen ihn suchen, die verüben kein Unrecht, / die aber schreiten auf den Wegen des Herrn.
Du selber hast erlassen deine Gebote, / auf dass sie gehalten werden in Treue. Wären doch meine Wege beständig, / zu befolgen, was du befohlen. Dann werde ich nicht zuschanden, / wenn ich achte auf jedes deiner Gebote.
Aus lauterem Herzen will ich dich preisen, / wenn ich erlerne deine gerechten Beschlüsse. Deine Verordnungen will ich befolgen, / du aber verlasse mich nicht!
Von ganzem Herzen suche ich dich, / lass mich nicht weichen von deinen Geboten. Ich berge in meinem Herzen dein Wort, / auf dass ich nicht sündige gegen dich. Sei gepriesen, o Herr, / lehre mich deine Befehle!
Meinen Lippen entströme Lobgesang, / weil du mich lehrst deine Gesetze. Meine Zunge lobpreise dein Wort; / gerecht sind all deine Gebote. Strecke aus deine Hand, mir zu helfen, / denn erkoren habe ich deine Befehle.
O Herr, ich ersehne von dir mein Heil, / denn deine Weisung ist mir Wonne. Es lebe meine Seele und preise dich, / deine Ordnungen mögen mir helfen.

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