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Wie geht ein Kamel durch´s Nadelöhr?

Wie geht ein Kamel durch´s Nadelöhr?
Gedanken zum 28. Sonntag i. J. (Mk 10, 17-27)

„Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr…“ Das mit dem Kamel und dem Nadelöhr kennen wir alle. Ein bekanntes Sprichwort. Es entstammt der Bibel, dem mit 2,5 Milliarden Exemplaren meistverkauften Buch der Welt. Kein Wunder also, dass noch viele biblische Redewendungen in unsere Alltagssprache eingeflossen sind. Zum Beispiel: „Alles hat seine Zeit“, „Bleib´ im Lande und nähre dich redlich“, „Der Mensch, denkt Gott lenkt“, „Die Spreu vom Weizen trennen“ oder etwa „auf Herz und Nieren prüfen“. So eben auch dieses Kamel und das Nadelöhr. Wobei auffällt, dass der zweite Teil des Gedankens aus dem heutigen Evangelium für gewöhnlich einfach fortgelassen wird. Darum nochmal die ganze Wahrheit in einem Satz: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher eingeht in das Himmelreich.“

Was gemeint ist, versteht sich bei der ersten Aussage von alleine: selbst das kleinste Kamel kann man nicht durch das größte Nadelöhr quetschen. Zu Ende gelesen, stellen sich weitergehende Fragen: Ist es für Reiche dann unmöglich, in den Himmel zu kommen? Aber, ab wann ist man eigentlich reich? Schaut Gott auf die Lohnabrechnung und das Girokonto? Muss ich etwa am letzten Tag meine Einkommenssteuererklärung für den Himmel machen?

Dass die Sache bei Gott etwas anders aussieht, haben Bibelwissenschaftler herausgefunden. Und wie so oft lohnt es, sich mit dem Glauben vernünftig zu beschäftigen, damit man ihn auch richtig versteht.

Wenn Jesus vom Nadelöhr spricht, dann meinte er wohl ein ganz bestimmtes Stadttor in Jerusalem. Zur Zeit Jesu war Jerusalem von einer Stadtmauer umgeben. Die Stadttore wurden aus Sicherheitsgründen nachts geschlossen. Wie etwa auch bis heute in der Augsburger Fuggerei. Wer bis zum Einbruch der Dunkelheit nicht rechtzeitig die Stadt erreicht hatte, musste draußen übernachten.

In Jerusalem gab es aber noch eine kleine Tür, die Tag und Nacht geöffnet war. Allerdings war sie so eng, dass keine Angreifer mit Rüstung und Waffen eindringen konnten. Nur einzelne Personen kamen durch, und die auch nur gebückt. Im Volksmund nannte man diese Pforte deshalb einfach nur das „Nadelöhr“. Wir kennen das aus dem heutigen Straßenverkehr: Ein Nadelöhr lässt nicht viel durch; es kommt zum Stau. Mit diesem Wissen kommen wir dem Gedanken Jesu auf die Spur. „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher eingeht in das Reich Gottes.“

Wenn ein reicher Kaufmann mit seiner Karawane die Stadt Jerusalem nicht rechtzeitig vor Torschluss erreicht hatte, um sich und seine Waren hinter den Mauern vor den Räubern in Sicherheit zu bringen, musste er sich entscheiden:
Bleibe ich diese Nacht draußen bei meiner Habe oder bringe ich lieber mein Leben in Sicherheit und gehe mit leichtem Gepäck durch das Nadelöhr hindurch? Seinen ganzen Besitz konnte er jedenfalls nicht mitnehmen. Der war ganz einfach zu sperrig für das kleine Tor.

Was Jesus uns sagen will, liegt damit auf der Hand: Damals wie heute müssen wir uns entscheiden: Geld oder Leben? Haben oder Sein? Es ist allemal einen Sonntag wert, bei sich zu überlegen: woran hänge ich so, dass ich mit ihm nicht durch die enge Pforte gehen wollte und lieber außen vor bleibe?

„Haben oder sein?“ Das ist nicht dasselbe. Schon eher das glatte Gegenteil. Mir fällt in diesem Zusammenhang immer wieder auf, dass sich unter denen, die nicht so viel haben, mehr Menschen finden, die glücklicher sind. Könnte es daran liegen, dass die Sorge um all das, was wir eigentlich wirklich nicht brauchen, den Zugang versperren kann zum Glück? Die Sorge, an die Habe zu kommen, wird ja oft gefolgt von der Sorge, seine Habe wieder zu verlieren. Aber wenn´s dann um´s Leben geht, „Geld oder Leben?“, dürfte wohl klar sein, was am Ende wichtiger ist… Wann diese Einsicht kommt? Oft genug, wenn´s eng wird im Leben. Man plötzlich einem Autounfall um ein Haar entgangen ist, eine schwere Krankheit überstanden hat. Oder ein Unglück alle Habe weggespült, das Leben aber am Ende überlebt hat.

Aber machen wir es ruhig weniger dramatisch… Immer wieder höre ich in letzter Zeit den Gedanken: „Weniger ist mehr.“ Dieser Gedanke gefällt mir. Denn noch mehr ist oft viel weniger: an Lebensfreude, an Unbeschwertheit und an „Leichtigkeit des Seins“.

Mitten drin im Leben und dann vor allem auch, wenn es zu Ende geht. Wenn man sich darum sorgt, was alles entsorgt werden muss, weil es nicht durch die Pforte des Himmels passt. Es wäre schlimm, wenn wir am Ende mit unserem Leben draußen bleiben wollten oder gar müssten, weil wir uns von unserer Habe nicht trennen konnten. Vergessen wir nicht: wir nehmen nur mit, was wir dagelassen haben.  Wie heißt es so schön: „Reich ist, wer viel hat, reicher ist, wer wenig braucht. Am reichsten ist, wer viel gibt.“ Auf etwas verzichten zu können, fällt oft schwer. Aber schwer wird’s am Ende für die, die auf nichts verzichten konnten. Mitnehmen, wie gesagt, kann keiner was. Und wer will am Ende schon ein Kamel sein…

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