„Wie sieht´s drüben aus?“
„Wie sieht´s drüben aus?“
Gedanken zum 32. Sonntag (Lk 20, 27-38)
Kann man sich die Liebe vorstellen?
Ich möchte mit Ihnen einen Versuch machen: Stellen sie sich doch mal die wahre Liebe vor. Das wird vielleicht gar nicht so einfach sein. Und das liegt nicht daran, dass es sie nicht gibt, die wahre Liebe. Nein, ich denke, wir alle werden wohl an die Liebe glauben oder zumindest die Sehnsucht nach ihr in uns verspüren.
Noch viel schwieriger wird unser kleines Experiment, wenn wir jetzt versuchen wollten, unserem Nachbarn zu erklären, was die wahre Liebe ist. Vielleicht würde der eine um Worte ringen und die andere ganz viele Worte machen. Vielleicht würden manche von uns gar nichts sagen und stattdessen lieber ein Bild malen oder eine Rose schenken. Ganz und gar unmöglich erscheint es mir aber, jemanden allein mit Worten von der wahren Liebe zu überzeugen, der selbst gar nicht an die Liebe glaubt.
Ja, vielleicht wäre die beste Antwort am Ende die: Wer wissen will, was die Liebe ist, ja wie Liebe ist, der wird versuchen müssen, selbst zu lieben. Liebevolle Augenblicke fügen sich dann wie Mosaiksteinchen ein zu einem Abbild der Liebe.
Kann man sich den Himmel vorstellen?
Aber im heutigen Evangelium geht es doch gar nicht um die Liebe. Was soll also dieser Versuch. Das stimmt; dafür aber geht es um den Himmel. Und irgendwie scheint mir da das Problem, vor dem Jesus steht, ähnlich gelagert zu sein.
Denn da sind einige Sadduzäer. Sadduzäer sind fromme Juden, die sich streng an die ersten fünf Bücher Mose halten. Im Unterschied zu den Pharisäern, glauben die Sadduzäer nicht an die Auferstehung, nicht an ein Leben nach dem Tod und damit auch nicht an den Himmel, denn davon steht in den ersten fünf Büchern der Bibel noch nichts geschrieben.
Die Sadduzäer machen mit Jesus einen Versuch. Vielleicht, um ihn auf die Probe zu stellen, vielleicht aber auch wirklich aus echtem Interesse… Jedenfalls fragen sie Jesus: wie stellst du dir den Himmel vor? Um ihre Frage gleich an einem Beispiel festzumachen, liefern sie auch noch einen konkreten Fall. Der klingt in unseren Ohren heute ziemlich weit hergeholt: Da ist eine Frau, die immer wieder verwitwet. Und immer wieder den Bruder des verstorbenen Ehemannes heiratet, einen nach dem anderen. Damals war das so, es stand im Gesetz des Mose, und an das hielten sich die Sadduzäer streng. Verlor eine Frau ihren Ehemann, und war die Ehe ohne männlichen Nachkommen, musste der Schwager die verwitwete Frau heiraten. Dafür gab es zwei Gründe: Wer nicht an ein Leben nach dem Tod glauben konnte, hoffte zumindest an ein Weiterleben in seinen Nachkommen. Zum anderen wurde der Unterhalt der Witwe sichergestellt. So war das damals also. Und jetzt die kniffelige Frage: Wessen Frau wird sie dann sein? Der Himmel ist doch ein Ding der Unmöglichkeit!
Jesus lässt sich nicht auf spitzfindige Diskussionen ein. Vielmehr versucht er eines klar zu machen: Der Himmel sprengt den Rahmen jeder Vorstellung. „Nur in dieser Welt heiraten die Männer und die Frauen – die aber, die gewürdigt wurden an jener Welt und an der Auferstehung von den Toten teilzuhaben, heiraten nicht“ (Lk 20, 34b – 36). Wie es aber dann sein wird, darüber schweigt Jesus. Und hat er nicht recht!
Nur eines lässt Jesus die Sadduzäer wissen: dass es ein Leben gibt nach dem Tod und einen Himmel über der Erde. Schließlich ist Gott „kein Gott von Toten, sondern von Lebenden“ (Lk 20, 38).
Der Himmel sprengt den Rahmen
Den Schriftgelehrten hat diese Antwort offenbar genügt. Genügt sie auch uns? Die Versuchung des Menschen war schon immer groß, dieses letzte große Geheimnis zumindest ein wenig zu lüften. Gibt es ein Weiterleben? Und wie darf ich mir dieses Weiterleben vorstellen? Wer hier Genaues wissen will, der wird enttäuscht. Der Himmel lässt sich nicht beschreiben mit Worten, nicht fassen, mit all unseren Sinnen. Wir dürfen ihn nicht zerreden oder gar versuchen den Himmel auf die Erde zu zwingen, mitten hinein in unser doch so begrenztes Denken. „Worüber wir nicht reden können, darüber müssen wir schweigen“, sagte einmal Ludwig Wittgenstein. Und doch versuchen wir Menschen immer wieder, bis an die Grenzen zu gehen. Nahtoderfahrungen führen auch an diese äußerste Grenze. Es sind die Erlebnisse von Menschen, die klinisch gesehen tot waren, aber schließlich wiederbelebt werden konnten und zurückgekehrt sind –aber in dieses irdische Leben. Sie sind bis an die äußerste Grenze des Lebens gegangen. Und darüber reden sie, Gott sei Dank. „Worüber wir reden können, darüber dürfen wir nicht schweigen“, auch dies ist eine Überzeugung von Ludwig Wittgenstein. Gestern hat Astrid Dauster in Biberbach erzählt von ihren Nahtoderfahrungen in vertrauensvollen Bilder und Worten, die sie selbst an der Schwelle zum Tod vernommen hat. All das mag die Angst vor dem Sterben mindern. Aber den Himmel schildern sie nicht.
Von dort ist auch wirklich noch niemand zurückgekehrt. Welchen Grund sollte ein Mensch dazu auch haben, aus dem himmlischen Dasein zurückzukehren in ein irdisches? Lazarus und die Tochter des Jairus waren auch in den Augen der Welt tot. Jesus hat sie wiederbelebt. Zurückgekehrt sind sie schließlich wieder in ihr irdisches Leben. Und am Ende gestorben. Es ist also wirklich noch niemand zurückgekommen. Außer einem: Jesus. Er ist und bleibt am Ende der Auferstandene von den Toten, der Erstgeborene des Himmels.
Den Himmel können wir uns nicht erklären. Auch Jesus erklärt ihn nicht. Er malt ihn vielmehr aus in wunderschönen Bildern. Nicht damit wir den Himmel begreifen, sondern, dass wir an den Himmel glauben. Und glauben heißt nach Paulus: „Glaube ist: Feststehen in dem, was man erhofft; überzeugt sein von Dingen, die man nicht sieht“ (Hebr. 11,1). Oder noch grundlegender, wie es Astrid Dauster gestern ausgedrückt hat, „anzunehmen, dass ich bin, weil Gott ist“. Dieser Glaube bringt uns auch dem Himmel näher. Denn wo Gott ist, ist der Himmel.
Himmlische Augenblicke, die uns die Zeit vergessen lassen und alles um uns herum, lassen uns wohl am ehesten erahnen, was Himmel ist. Kann es da Zufall sein, dass diese himmlischen Augenblicke oft Augenblicke der Liebe sind. Und „Gott ist die Liebe“ (vgl. 1 Joh 4, 8). In diese unverlierbare Liebe sind wir in der Taufe hineingeboren. Und damit sind wir –wie Jesus sagt- würdig befunden, „an jener Welt und an der Auferstehung von den Toten teilzuhaben“ (Lk 20, 35). Freuen wir uns auf das, „was kein Auge gesehen und kein Ohr je gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Kor 2, 9).