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Glaube ist live

Glaube ist live
Gedanken zum Palmsonntag von Pfarrer Ulrich Lindl (Ev.: Mk 11, 1-10)

Auch das sind gute Seiten der schlechten Zeiten: Menschen wissen, was sie vermissen. Theater zum Beispiel. Bühnen sind geschlossen. Und Not macht erfinderisch. Aufführungen werden gestreamt. Freilich ohne Publikum, denn das sitzt nicht im Theater, sondern daheim auf dem Sofa. Theateratmosphäre kommt da bei aller Liebe nicht gerade auf. Es bleibt die Sehnsucht nach dem „Live-Event“.

Kirchen dürfen öffnen. Das liegt am bewährten Hygienekonzept, aber auch daran, dass die freie Religionsausübung ein hohes Grundrecht darstellt. Dafür können wir nur dankbar sein! Natürlich übertragen auch wir Gottesdienste im Internet. Aber eines können Übertragungen im Fernsehen und im Internet nicht ersetzen, das leibhaftige Erlebnis. Und Glaube ist immer live und leibhaftig. Übrigens wird die Liturgie auch als „Theatrum sacrum“ – als „heiliges Spiel“ bezeichnet. Keineswegs abwertend, sondern im Bewusstsein, dass unser Glaube lebendige Darsteller braucht. Glauben geht nicht „virtuell“…! Wir müssen uns persönlich begegnen, uns in die Augen schauen können. Und auch den Leib Christi, den Herrn, empfangen wir leibhaftig.

In der kommenden Heiligen Woche nimmt uns die Liturgie mit hinein in ein bewegtes Geschehen. Am Palmsonntag die Palmweihe, die Palmprozession, der feierliche Einzug. Am Gründonnerstag das Letzte Abendmahl in aller Hingabe, Betstunden am Ölberg. Und am Todestag des Herrn gehen wir den Kreuzweg und verehren das sein Kreuz in der großen Karfreitagsliturgie. Und dann: das Osterlicht in der Osternacht. Osterwasser, Osterspeisen. Neues Leben! All das muss man miterleben. Und genau das will uns seit jeher die Liturgie ermöglichen.

Der Heilige Ignatius von Loyola weiß aber noch einen anderen Weg, um dem wahren Geschehen von damals unmittelbar näherzukommen: die innere Vorstellung. Einfach mal die Augen schließen und sich auf das einlassen, was damals geschah. Der Einzug in Jerusalem. Der Jubel, die Begeisterung! Stellen wir uns alles vor. Versetzen wir uns mitten hinein. Werden wir Teil des Geschehens. Im Bibelkreis haben wir genau das versucht. Die Begebenheit auf uns wirken lassen. Und wir waren alle mit dabei. Wo wollte ich sein? Und wer? Einer unter den vielen Menschen, die begeistert noch schnell Büschel ausreißen, um dem Herrn zuzujubeln? Als Jünger, ganz nah beim Herrn? Der Herr auf einem jungen Esel? Oder das Fohlen, dieses königliche Reittier, auf dem noch niemand gesessen hat?

Dieser kleine Esel. Noch nie hat er eine Last getragen. Jesus wird der Erste sein. Jesus tragen, der uns, ja die ganze Welt, auf seine Schultern nehmen wird. Dafür wird der junge Esel losgebunden und damit frei für diesen Dienst… Das hat bemerkenswerten Eindruck auf uns gemacht. Weil es eine vertraute Erfahrung ist? Wo und wie bin ich angebunden? Was hält mich fest? Und da wir zumeist keine jungen Esel mehr sind, sondern mehr oder weniger alte Lasttiere… Welche Lasten, wieviel Belastung tragen wir mit vielleicht schon allzu lange mit uns herum! Wenn wir Jesus tragen, wird er uns zunächst helfen, die Lasten abzuladen.

Teil des Geschehens werden von damals. Dabei kann uns so viel aufgehen! Und dann? Dann kommt es ganz darauf an, dass wir wieder Teil des Geschehens von heute werden. Denn die Heilige Woche ist nichts von gestern. Alles ereignet sich auch heute, weil es irgendwie doch zeitlos ist. Der Jubel einer Begeisterung, die oft so schnell umschlägt. Das dichte Vertrauen im Abendmahlsaal, die bange Angst und das Ringen am Ölberg. Der Kreuzweg. Steht er nicht stellvertretend für die Kreuzwege unserer Tage, sowohl in seiner unmenschlichen Grausamkeit aber auch in der Hilfe einer Maria, einer Veronika, eines Simon von Zyrene? Und dann die Trauer am Grab. Und diese Sehnsucht nach neuem Leben…

Nein, das alles ist nicht von gestern. Es ist auch von heute und für uns heute. Denn wir brauchen Mitgefühl, wir brauchen Mut und Tatkraft, wir brauchen Liebe, die die Treue hält und eine Hoffnung, die zuletzt eben nicht stirbt. Und vergessen wir nicht: das eigentliche Virus, von dem die ganze Menschheit befallen ist, ist der Tod. Das ist die wahre Pandemie. Dafür haben wir aber auch schon ein Mittel: die Erlösung Jesu Christi, die uns eingeimpft wurde in der Taufe. Die muss freilich einwirken und sich dann auch auswirken.

Machen wir darüber nicht zu viele Worte. Es fällt doch auf, wie wenig Jesus redet. Wenn Worten nur Worte folgen, geschieht am Ende nichts. Jesus hat nicht viele Worte gemacht. Er hat Taten folgen lassen. Er hat das Kreuz unserer Sterblichkeit auf sich genommen und ist seinen Weg gegangen. Und er will uns mitnehmen. Damit wir nicht als Zuschauer bleiben, nicht zu Fern-Sehern werden. Er will, dass wir erkennen, wo wir stehen und was wir sehen. Und dass wir dann handeln in seinem Sinn – aus Liebe. Eine Liebe, die uns bewegt und zur Tat wird. Er hat alles getan, damit wir durch seine Wunden geheilt werden. So können auch wir unendlich heilsam wirken. Wenn wir wollen. Jesus wird uns dabei bestimmt helfen. Amen.

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