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Ein Deja-vu?

Ein Deja-vu?
Gedanken zum Gründonnerstag

Man war irgendwie zurückerinnert an 9/11 – an Ground zero, den Einsturz der Twin-Tower in Manhattan. Aber diesmal war es kein Machtzentrum der neuen Welt, sondern ein Wahrzeichen des alten christlichen Europas, das in Flammen stand. Über 800 Jahre alt. Im Herzen von Paris. Der Vorplatz ist der Bezugspunkt von fast allem. Von hier aus werden alle Entfernungen bemessen. Und alles was Frankreich durch die Jahrhunderte wirklich bewegte, hat man in ihr und mit ihr gefeiert: Notre Dame.

Wie sehr die Menschen im Anblick der Flammen am vergangenen Montag berührt waren, konnte man sehen. Gewiss, wie immer haben sie reflexartig nach ihren Handys gegriffen. Dann aber wurde es überall sehr still. Fast so etwas wie ein verschämtes heiliges Schweigen. Ist in Flammen vielleicht viel mehr aufgegangen als „nur“ eine der beeindruckendsten gothischen Kathedralen…?

Die internationale Presse überschlägt sich geradezu in symbolträchtigen Schlagzeilen: Der niederländische Volkskrant hielte den Verlust von Notre Dame für „unerträglich“. Der Belgische Standard glaubt: die Seele von Notre Dame ist „unzerstörbar“. Und die spanische Tageszeitung El Mundo ist sich sicher: der Wiederaufbau von Notre Dame wird Europa stärken.

Das Bild der brennenden Kathedrale hat sich eingebrannt in das Gedächtnis der Menschheit. Und es hat vielen sehr wehgetan. Und dann wurde auch sofort gespendet. Am 1. Tag waren bereits 700 Millionen € zugesagt von Multimilliardären über Fußballclubs, Mineralkonzernen bis hin zu den vielen, die nicht so viel haben. Am Tag danach kam eine gewisse Erleichterung dazu: Gott sei Dank konnte die Baustruktur gerettet werden. Und was wohl noch wichtiger ist: auch die Dornenkrone und die Tunika Christi. Mit so manch anderen, unwiederbringlich wertvollen Reliquien. Und: Gott sei Dank ist niemand zu Schaden gekommen. Im Innern der Kathedrale –über dem Altar- erhebt sich fast wie ein glänzendes Siegeszeichen: das große goldene Kreuz.

Das macht Mut! Vielleicht klappt es sogar in den 5 Jahren, die der französische Präsident Macron Zeit geben will: die Kirche wieder aufzubauen. Putin will die besten Restauratoren schicken, Bayern übrigens auch. Hoffentlich finden sich weltweit genügend Fachkräfte, die so was können!

Ein Kurzschluss öffnet die Augen
Bei einer Außenrenovierung könnte es zu einem Kurzschluss gekommen sein. Darüber kann man schon nachdenken. Über diesen Kurzschluss, der auf einmal so viele Menschen wach macht für das, was schon fast selbstverständlich vergessen worden ist: Gottes Haus in dieser Welt.

Tausende kamen am nächsten Tag wieder um nachzusehen, ob die Kathedrale auch wirklich noch steht. Dass es hier um mehr geht als nur ein Gebäude, dürfte klar sein. Irgendwie war es doch die Angst und Sorge, dass dieses Gotteshaus, diese gemeinsame Herzmitte, nicht mehr da ist. Einfach weg. Und damit vieles, was zusammenhält. Die eigene Biographie – bis hin zur langen Geschichte der Grande Nation. Die Angst, in seiner Seele  heimatlos zu werden… Hoffentlich ist auch das ein Eindruck, der bleibt. Denn damit hätte das Ereignis auch etwas Positives abzugewinnen.

Der christliche Glaube verdünnisiert fast unbemerkt. Gerade auch in Frankreich, das sich immer gern als „Älteste Tochter der Kirche“ bezeichnet hat. Der Staat ist säkular – aber auch das Leben der Menschen ist weithin verweltlicht. Christliche Prägekraft schwindet. Gerade auch im Alltag, in der Lebenspraxis der Menschen. Das kann kein Gotteshaus ersetzen. Was in unserem Innern der Seele verloren geht. Was nützen die schönsten Fassaden, die man auch hierzulande -Dank guter Kirchensteuereinnahmen- noch mal schön renoviert, wenn es im Seelenleben keinen Platz mehr für Jesus gibt.

Innenrenovierung ist angesagt!
Heute Abend haben wir uns im Abendmahlsaal des Gründonnerstags eingefunden. Keine prächtige Kirche, das nicht. Dafür aber umso mehr Nähe. Wir betreten heute zugleich feierlich den wichtigsten Sakralraum des Christentums. Die Seele des Menschen. Jesus lädt uns ein in seine Seele. Und er will uns beseelen mit seinem Geist. Es ist eine spirituelle Innenrenovierung, um die es ihm und uns gehen muss.

Dafür wollen und müssen wir uns immer wieder Zeit nehmen. Zusammenkommen mit Jesus und nachdenken über das, was er uns sagen will. Damit wir ihn wieder besser verstehen. Und christliches Verständnis wieder wachsen kann. Hineinwachsen in unser Leben, in unsere Kirche, in unsere Gesellschaft, in unser entchristlichtes Abendland.

Was er uns heute Abend sagt, es ist sein Vermächtnis. „Liebt einander so wie ich euch geliebt habe.“ Und das nicht nur mit Worten. „Liebe sei Tat!“ (Franz von Sales).  Jesus kniet sich selbst vor den Jüngern nieder und wäscht ihnen die Füße! Was für eine Ansage – Was für eine Tat! Nicht hoch hinaus. Sondern im Gegenteil: von Grund auf leben aus Liebe. Wenn uns das gelingt, hat Machtmissbrauch keine Chance mehr. Dann ist dem Mobbing der Kampf angesagt. Dann wird auch nicht mehr die Würde des Menschen mit Füßen getreten. Dann kommen Zukurzgekommene zu ihrem Recht. Jesus will die Demut. Und er macht uns Mut zum Dienen.  „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Denn ich bin gütig und von Herzen demütig.“

Es geht Jesus auch nicht um Äußerlichkeiten. Ganz im Gegenteil: Wir sollen unser Leben und unseren Glauben verinnerlichen und so vertiefen. Die Äußerlichkeiten lenken nur ab. Und sind oft genug Hinweis darauf, dass da einer innerlich verarmt ist. Angefangen von teuren Markenklamotten über Sportautos, luxuriöse Villen, Traumstände und prunkvolle Kirchengebäude, die am Ende doch nur zu Konzerten gefüllt werden können.

Nur dann werden wir unseren Glauben verinnerlichen, werden wir ihn auch wirklich ausstrahlen und wieder anziehend werden, wenn wir Jesus empfangen. Um diese Empfänglichkeit geht es heute Abend auch. Jesus will nur eines: dass wir empfänglich für ihn sind. So wie er sich gibt. Ganz einfach in der Gestalt von Brot und Wein – Grundnahrungsmittel – keine Häppchen, kein Schampus, kein Kaviar.

Der Abendmahlsaal stellt uns vor die Gewissenfrage unseres christlichen Lebens. Jeden einzelnen und die Kirche insgesamt. Wenn man heute auf Google den Suchbegriff „Kirche“ eingibt, kommen als Begriffe zuerst Kirchenaustritt und Kirchensteuer heraus. Es muss uns zu denken geben, wenn Menschen beim Thema Kirche zuerst ans Geld denken geben. Jesus ging es um was anderes!

In einem einfachen Stück Brot erhalten wir das Kostbarste der Welt, ganz einfach –  ein Geschenk. Wenn, ja wenn wir empfänglich sind dafür, dann werden wir ihn empfangen. Und er wird in uns und wir mit ihm. Unser Glaube ist im innersten eine christliche Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus und miteinander als seine Gemeinde. Nicht nur auf Zeit – sondern für eine ganze Ewigkeit: Denn: „Wer von diesem Brot ist wird ewig leben!“

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