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Was ist der Mensch?

Was ist der Mensch?

Wenn wir darauf eine Antwort suchen, dann stellen wir den Menschen am besten mittenhinein in eine Krise… Ein chinesisches Schriftzeichen für Krise drückt beides aus: „Chance und Gefahr“. Und beides bedeutet jede Krise auch für den Menschen. Chance und Gefahr.

Die Gefahr liegt in der Krise, weil sie uns einschränkt und bedroht. Im April letzten Jahres hat Bundespräsident Steinmeier im Blick auf die Corona-Pandemie gesagt, was leider noch heute gilt: „Ausgerechnet an Ostern, dem Fest der Auferstehung, wenn Christen weltweit den Sieg des Lebens über den Tod feiern, müssen wir uns einschränken. Einschränken, damit Krankheit und Tod nicht über das Leben siegen.“

Eines will ich doch ergänzen: der Sieg des Lebens über den Tod an Ostern setzt den Karfreitag voraus. Und das war die Krise schlechthin! Nicht am Leid vorbei, sondern durch das Leid hindurch führt der Weg zum Leben. Nicht, weil wir das so wollen, sondern weil das offenbar so ist. Der Karfreitag steht für das Kreuz und dafür, dass das Leben immer und immer wieder durchkreuzt wird. Das haben wir alle in diesem Jahr mehr oder weniger dramatisch erfahren.

Reden wir nicht schön, was schlecht ist; aber versuchen wir einmal mehr die guten Seiten in schlechten Zeiten zu finden. Nennen wir es heute einmal: Sinnkrise – oder: der Sinn in der Krise. Und ich glaube, wir werden schnell fündig. Denn der Mensch, ja die ganze Menschheit stößt gerade an Grenzen. Stößt sich an diesen Grenzen. Und wir merken: Das Leben hat Grenzen. Das Leben ist gefährdet und der Mensch zum Sterben geboren.

Dieser Wahrheit ins Auge zu schauen, macht Sinn! Gott selbst öffnet uns die Augen dafür in seiner eigenen Menschwerdung. Die ja kritisch beginnt und noch kritischer endet: Auf dem Holz der Krippe in einer schweren Geburt – am Holz des Kreuzes mit den letzten Atemzügen.

Unerträglich und sinnlos bleibt das Leid, wenn man ihm hilflos ausgeliefert ist, alle anderen tatenlos zusehen. Jesus war als Mensch immer auch auf das beherzte Handeln von Menschen angewiesen. Er hat als Mensch auf Menschen gesetzt. Und er hat sie ein Leben lang gefunden in Maria, seiner Mutter. Und auch am Kreuzweg bei aller Gewalt: in Veronika. Allein ihr Schweißtuch, dieses kleine mutige Zeichen der Anteilnahme verleiht dem Leiden Sinn. In einem Simon von Zyrene, der –gezwungenermaßen- aber immerhin mitträgt. Und in den vier Menschen, die selbst am Kreuz zu ihm stehen.

Ja, sprechen wir an dieser Stelle von Solidarität. Davon hat auch der Bundespräsident in dem besagten Interview gesprochen, wenn er meint: „Wir werden nach dieser Krise eine andere Gesellschaft sein. Wir wollen keine ängstliche, keine misstrauische Gesellschaft werden. Aber wir können eine Gesellschaft sein mit mehr Vertrauen, mit mehr Rücksicht und mit mehr Zuversicht. Ist das, selbst an Ostern, zu viel der guten Hoffnung? Über diese Frage hat das Virus keine Macht. Darüber entscheiden allein wir selbst.“

Man kann ihm recht geben: Krisenzeiten hatten schon immer die Chance, etwas besser werden zulassen, Menschen und damit auch eine Gesellschaft. Und doch gehen wir als Christen gerade in diesen Tagen einen entscheidenden Schritt weiter. Der Hl. Johannes von Kreuz bringt es auf den Punkt: Im Leid erfährt der Mensch Gottes Kraft, im Handeln baut er zu sehr auf sich und wird schwach. Im Leiden wird er geläutert und daher weise und besonnen.“

Dafür spricht auch der Kreuzweg Jesu Christi. Es ist ein Weg durch die Krise, den Jesus als wahrer Mensch geht und den wahre Menschen begleiten. Aber um aus der Krise am Ende auch wieder herauszukommen, war mehr nötig. Dazu hat es auch Gott gebraucht. Darum, wusste Jesus als Mensch. Und das wusste er als Sohn von seinem Vater. Dass er sich dem Gebet anvertrauen kann und aus dem Gebet Kraft schöpfen wird. Angefangen vom Ölberg bis hin zu seinen letzten Worten am Kreuz: Jesus hat sich festgemacht in Gott. So wurde möglich, dass am Ende nicht sein Wille, sondern der Wille des Vaters geschehen konnte. Ecce homo – seht der Mensch. Und mit Jesus fügen wir hinzu: Ecce Deus: Seht, Gott!

Passion heißt: Leidenschaft. Leidenschaftlich zu lieben, liebevoll zu leiden. Passion sagt: Liebe und Leid gehören zusammen. Auf Seiten des Menschen und auf Seiten Gottes. Dafür steht in unserer Gesellschaft auch das Christentum. „Jesus Christus hat eine Religion gegründet, die wohl als einzige in keiner Weise versuchte, Leid und Schmerz zu umgehen, zu übersteigen, auszurotten, sondern dem Grauen der Welt ins Auge zu blicken, in einer Haltung, die es umwertet und verändert.“ Ein Gedanke des großen Theologen Hans Urs von Balthasar.

„Die Pandemie ruft das Schlechteste und das Beste im Menschen hervor“, meinte Walter Steinmeier vor einem Jahr. Und er fordert uns alle auf: „Zeigen wir einander doch das Beste in uns!“ Schauen wir darum auf Jesus Christus. In Jesus Christus sehen wir das Beste im Menschen. Jesus ist die Menschwerdung Gottes im Menschen.

Corona hin oder her, am Ende stellt sich die entscheidende Sinnfrage immer im Augenblick der Lebens-Krise des Lebens schlechthin, im Angesicht des Todes. Ob dann noch irgendetwas Sinn macht? Jede Krise ist immer Gefahr und Chance. Die Chance sehen wir vor uns: hier und heute, am Karfreitag. Im österlichen Blick auf das Kreuz.

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